Bachmann-Preis und Fußball-WM: Stefan Gmünder bloggt im Juli 2014
Zu behaupten, dieser Juli habe zäh begonnen, wäre untertrieben. Nachdem beim Klagenfurter Wettdichten wieder einmal drei Tage lang jene Langeweile ausgebreitet wurde, die in den ungelüfteten Großraumbüros der neuen deutschsprachigen Literatur zu herrschen scheint, nahm dann auch noch die Fußball-WM ein fatales Ende. Aber man darf diesbezüglich, wie es der Ex-Fußballspieler Lothar Matthäus unlängst auf den Punkt brachte, den Sand nicht in den Kopf stecken.
„Der Leser. Das Erzählen“ heißt übrigens Peter Bichsels wunderbare, leider vergriffene, aber antiquarisch für wenige Euro greifbare Frankfurter Poetikvorlesung, die sich in einer kurzen Passage mit dem Verhältnis von Literatur und Fußball befasst. Man könne, so der Schweizer Autor, niemandem das Fußballspiel nahebringen, indem man ihm dessen Regeln erkläre, und keiner, so Bichsel weiter, werde zum Leser, wenn man mit erhobenem Zeigefinger Wert und Zweck des Lesens einmahne. In beiden Fällen lautet das Zauberwort laut Bichsel schlicht Begeisterung, die es zu wecken gilt. Bichsel weiß zudem natürlich, was auch sein Peruanischer Kollege Mario Vargas Llosa in seiner Nobelpreisrede „Ein Lob auf das Lesen und die Fiktion“ betont: Nämlich, dass das Schreiben – wie das Lesen – „ein Protest gegen die Unzulänglichkeiten des Lebens ist. Wer in der Fiktion sucht, was ihm selbst fehlt, drückt damit aus, (…), dass das Leben an sich uns nicht genügt, um unseren Durst nach dem Absoluten (…) zu befriedigen. Wir denken uns Geschichten aus, um auf irgendeine Weise die vielen Leben zu leben, die wir gern leben würden, während wir gerade mal über eins verfügen.“
Ein anderer zu sein wünschte sich wahrscheinlich Mitte Juli auch ein gewisser Gonzalo Gerardo Higuaín, seines Zeichens argentinischer Stürmer, dem im WM-Finale von einem günstigen Schicksal die Kugel vom Kopf eines deutschen Verteidigers direkt vor die Füße geworfen wurde. Allein auf weiter Flur taumelte er Richtung deutsches Tor um dort, wie es so schön im Fußballdeutsch heißt, kläglich zu scheitern.
Beschwert von Fußballresultaten, Bachmannpreisen und dazu ferienreif, erhoffte man sich also Linderung in der Buchhandlung des Vertrauens. Doch auch dort zunächst kein Trost weit und breit. Glaubt man den Büchern in der Ratgeberliteratur-Ecke, ist der typische Leser ein Mensch mit chronischem Burn-out und Rückenschmerzen, der trotz allem weiter bereit zu neuen Diäten und anderen Selbstoptimierungen von Körper und Seele ist. Es soll Zeiten gegeben haben, in denen nicht Triathlon-Teilnahmen, sondern die Kenntnis des einen oder anderen Klassikers karrierefördernd waren.
Apropos Klassiker und Individualismus. Rettung fand sich dann doch, und zwar in Form eines schmalen Bändchens, in dem sich der schöne Satz findet: „Sogar unter den Menschen sind die Riesen die eigentlichen Zwerge. Einige schätzen die Bücher nach ihrer Dicke, als ob sie geschrieben wären, die Arme, nicht die Köpfe daran zu üben.“ Weiter erzählt Arthur Schopenhauer in seinen „Aphorismen zur Lebensweisheit“, die man dann für unter 10 Euro erstanden hat, vom griechischen Redner Phokion, der sich, nachdem ihm das Volk Beifall zugerufen hatte, seinen Freunden zuwandte und fragte: „Habe ich etwas Verkehrtes gesagt?“
Nicht Vorgaben zu folgen, sondern selbst zu denken, riet Schopenhauer schon in seinen Aperçus mit dem Titel „Über Lesen und Bücher“ (aus: Parerga und Paralipomena II). Er warnt darin inständig davor, bei aller Lektüre das richtige Leben zu vergessen, denn wie einer, der immer nur reite, mit der Zeit das Gehen verlerne, bestehe die Gefahr, sich dumm zu lesen. Und noch eine Mahnung gibt uns Schopenhauer mit auf den Urlaubsweg: „Es wäre gut, Bücher zu kaufen, wenn man die Zeit zu lesen mitkaufen könnte.“