Leseförderung für Erwachsene

Von der Unlust zur Lust: Will man Erwachsene – und hier vor allem Männer – in Literaturveranstaltungen locken, geht das am besten über Umwege: etwa mit einer Einkehr beim Mostbauern oder einer Diskussion über Politik gemeinsam mit einem bekannten Nachrichtenmoderator. 

AutorIn: 
Peter Baier-Kreiner


„Das Lesen von Büchern ist anstrengender als andere Formen der Unterhaltung, insbesondere das Fernsehen. (…) Regelmäßige Bücherleser erleben häufiger Flow“, sagte Elisabeth Noelle-Neumann einst als Leiterin des Allensbacher Instituts für Demoskopie und ergänzte, dass dieses Gefühl zudem von anderen Faktoren wie Bildung und Einkommen weitgehend unabhängig sei. (1)

 

Lesen als Glück! So soll das also sein. BibliothekarInnen als Glücksbringer. Das klingt großartig – solange man nicht mit Problemgruppen zu tun hat! Problemgruppe 1 in allen Bibliotheken: Jugendliche. Problemgruppe 2: Männliche Jugendliche! Problemgruppe 3: Männliche Erwachsene! Männer! Und ich denke, genau um diese Gruppe 3 geht es vorwiegend bei allen Überlegungen und Konzepten, die um Leseförderung für Erwachsene kreisen. Frauen lesen ja bereits, überdies besuchen sie Veranstaltungen, initiieren Lesekreise und diskutieren dort über Bücher, die sie gelesen haben.

 

Ich behaupte: Es gibt wenig Leseförderungs-Konzepte für Erwachsene, die bislang gelungen sind, und schon gar keine Garantien – schlicht und einfach, weil eine Lesesozialisation im Erwachsenenalter abgeschlossen ist, vor allem dann, wenn es keine Vorstufe dazu im Kindesalter gegeben hat. Auch ich kann hier nichts Entsprechendes anbieten – kein Patentrezept, kein Allheilmittel. Aber ich behaupte auch: Man kann sie abholen, die Erwachsenen, auch die männlichen Erwachsenen.

 

Auf Umwegen

Man muss sich ihnen von hinten nähern, mit etwas, wo auf keinen Fall Literatur oder Lektüre oder Gedicht oder Dichterlesung draufstehen darf. Auf der emotionalen, sinnlichen Ebene muss man sie abholen, mit Literaturwanderungen zum Beispiel, in deren Verlauf es vielleicht eine musikalische Begleitung zur Dichterlesung gibt, eine Einkehr beim Bauern – einem Mostbauern vielleicht –, mit einer Jause am Nachmittag und einer abschließenden Einkehr; und wenn sie dann auch noch lustig ist, die Dichterlesung, dann wird er sich den Namen des Dichters merken, der Erwachsene, ob er nun schon lange tot ist wie Thomas Bernhard (das war der mit einem ganz eigenen Humor, der sich nicht jedem von vornherein erschließt) oder ob er nun Hans Kumpfmüller heißt, der sich seines Lebens erfreut und unbestritten einer der besten Dialektdichter des Landes ist. Die Texte von Thomas Bernhard können ja von einem gelesen werden, auf den man neugierig ist, weil man ihn kennt aus Film und Funk und Fernsehen, von Karl Merkatz zum Beispiel. Der ist prominent, auf den ist man neugierig, den möchte man einmal anders erleben als in Sackbauerischerem Unterhemd.

 

Da können sie mitreden, diskutieren

Das mit der Prominenz funktioniert auch ganz gut im Sachbuchbereich, dort sogar ohne Wanderung – ob die Menschen nun Paul Lendvai oder Ingrid Thurnher oder Rudolf Taschner oder Tarek Leitner heißen; auf die ist man neugierig, auch Mann! Und auf deren Themen, denn die interessieren sie, die Männer – Politik, Geschichte, Gesellschaft, Naturwissenschaft, Umwelt. Da können sie mitreden, diskutieren.

 

Nein, sie werden nicht heimkommen von einer Wanderung und am Tag darauf die Bibliothek stürmen, um Bücher von Thomas Bernhard oder Christoph Ransmayr oder Martin Pollack auszuleihen. Aber vielleicht von Hans Kumpfmüller, von Paul Lendvai auch, auch von Rudolf Taschner und von Tarek Leitner, vielleicht sogar von Ingrid Thurnher, wenn sie über Udo Proksch schreibt.

 

Wo bleibt der Flow?

Wenn sie in diesen Büchern dann nachlesen, was sie einmal auszugsweise gehört haben, werden sie vermutlich auch nicht gleich in einen Flow geraten beim Lesen. Aber das macht nichts. Flow benennt ja einen Idealzustand, in dem das Denken weitgehend ausgeschaltet wird oder Denken und Handeln gar eins werden. Theoretisch. Praktisch tun Menschen etwas, während sie dabei an ganz etwas anderes denken.

 

Beim Lesen von Christoph Ransmayr zum Beispiel daran, dass sie bei einer dieser Lesungen, zu denen sie früher nie und nimmer gegangen wären, Christoph Ransmayr gehört haben, mit seiner großartigen Lesestimme. Oder sie haben die Stimme von Anne Bennent im Ohr, die zusammen mit Otto Lechner, der so wunderbar traurig und so wunderbar fröhlich Akkordeon spielen kann, Robert Walser vorgestellt hat. Einen Schweizer Dichter, der schon tot ist.

 

Vielleicht lesen sie ja Christoph Ransmayr und denken daran, seinen Text einmal als Hörbuch hören zu wollen, von ihm selbst gelesen. Oder auch Anne Bennent zusammen mit Otto Lechner, gibt´s auch auf Hörbuch, bald auch in Ihrer Bibliothek!

 

Lesen zu verkaufen, bedeutet nicht selten, eine Mogelpackung zu verkaufen

 

Es gibt Schlimmeres, man wird ja heutzutage an allen Ecken und Ecken beschwindelt und betrogen und "übers Ohr gehaut". Warum nicht auch beim Lesen.

 

Leseförderung für Erwachsene, die kommt manchmal ganz gern auf leisen Sohlen. Von hinten schleicht sie sich an, nennt sich nicht so, sondern verspricht eine „Anregende Begegnung mit …“ oder eine „Publikumsdiskussion zu …“, heißt „Literaturwanderung auf den Spuren von …“ oder „Literarische Weinverkostung mit …“. Aber sie funktioniert – mit Franzobel funktioniert sie, mit der Musik eines Bertl Mütter, mit dem bayerischen Kabarettisten Rudolf Klaffenböck, mit Erika Pluhar, mit der Literatur eines H.C. Artmann, mit Dimitre Dinev und seinen befreundeten Musikern sowieso. Glaube ich!

 

Glauben Sie mir!

 

(1) Quelle: http://www.wissenschaft.de/home/-/journal_content/56/12054/65673/ (Stand 30.08.2013)

 

 

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