Familie und Bibliothek

Die Bibliothekssozialisation von Kindern ist davon abhängig, wie deren Bezugspersonen – Eltern, Familie, BetreuerInnen – Bibliotheken wahrnehmen. Die Zielgruppe Familie reicht hier von der traditionellen Familie über AlleinerzieherInnen bis hin zur Patchwork- und Regenbogenfamilie. 

AutorIn: 
Christina Repolust


„Indem sie eine große Vielfalt an Materialien und Aktivitäten bieten, ermöglichen Öffentliche Bibliotheken es Kindern, die Freude am Lesen zu erfahren und die aufregende Entdeckung von Wissen und Phantasie. Kinder und ihre Eltern sollten darüber unterrichtet werden, wie sie die Bibliothek am besten nutzen können und wie sie mit Büchern und elektronischen Medien die Fähigkeiten ihrer Kindern entwickeln können.“ (1) 

 

Frühe Leseförderung

Eltern fördern das Lesen nachhaltig, sie sind die ersten Lesevorbilder ihrer Kinder und eröffnen ihnen Lesewelten über das heimische Bücherregal hinaus. Familien finden in den Öffentlichen Bibliotheken Bücher zum Vorlesen, zum Nachspielen, zum Forschen und schließlich zum Selberlesen durch das Kind. Zudem finden sie passende Angebote: Workshops für Kniereiter und Fingerspiele, zum Vorlesen und zum Theaterspielen, Informationen über spezielle Genres wie „Märchen“ und vieles mehr. So gibt die Bibliothek Impulse zur frühen Leseförderung, unterstützt diese mit ausgewählter Fachliteratur und bietet einen dritten Ort – neben Arbeitsstelle und Zuhause –, wo Eltern am Beispiel anderer den Umgang mit Büchern beobachten und imitieren können.

 

Lesen mal anderswo

Vielleicht liest der Vater einmal in der Bowling- und die Mutter in der Kletterhalle vor? Vielleicht lesen Eltern ihren Kindern am Fußballplatz (nicht während eines Spiels!) oder im Schwimmbad vor? Wenn die Öffentliche Bibliothek ihre Veranstaltungen und Impulse für Eltern an ungewöhnliche Orte verlagert, erreicht sie dadurch auch Familien, die bislang keine BibliotheksbenutzerInnen waren. Orte, die mit Spaß und Bewegung assoziiert werden, können dazu genutzt werden, vom Abenteuer des Lesens zu erzählen. Hier empfiehlt es sich, auch Väter stärker einzubinden, um damit dem Mangel an männlichen Lesevorbildern entgegenzuwirken.

 

Bibliotheken sind kommerzfreie Räume

Die unterschiedlichen Familienformen sind auch unterschiedlich von Armut bedroht. Kinderarmut ist sowohl in Deutschland als auch in Österreich im Ansteigen, wird aber weitgehend verschwiegen. Bibliotheken sollten für alle Kinder offen stehen: im ländlichen Raum ebenso häufig wie im urbanen Bereich, für Kinder mit Migrationshintergrund ebenso ansprechend wie für inländische Kinder. So brauchen mehrsprachige Familien Zugang zu entsprechenden Medien, Angebote von Vorlesestunden in der Muttersprache und das alles kostenfrei: Kinder haben das Recht auf Bildung unabhängig vom sozioökonomischen Status ihrer Eltern.

 

Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf

In der Öffentlichen Bibliothek können sich alle vernetzen, die ihren Beitrag zum Kindeswohl leisten: die Eltern und Verwandten, die Tageseltern, KindergärtnerInnen und ErzieherInnen, die MitarbeiterInnen der Familienberatungsstellen und die PsychologInnen von Kriseninterventionsstellen. Was braucht ein Kind zu seiner gesunden Entwicklung? Diese Frage steht im Zentrum, um sie gruppieren sich die Sachbücher und die Fachleute. Wenn es Bibliotheken gelingt, Treffpunkt all dieser Zielgruppen – auch nur an einem bestimmten Tag zu einem bestimmten Thema – zu werden, ist das Kindeswohl ein Stück gewachsen. Sobald BibliothekarInnen in diese Netzwerke integriert sind, wird Sprachförderung ihre konkrete Fortsetzung in der Bibliothek finden können. Eltern finden hier die passenden Medien, Entwicklung zu fördern beziehungsweise zu unterstützen und Entwicklungsverzögerungen im Bereich Sprache in Kooperation mit den Fachleuten langfristig gezielt zu beheben.

 

Kinderreime und Rechenspiele

Bezugspersonen fördern die Sprachkompetenz der Kinder, sie geben ihnen aber auch Sicherheit im Umgang mit Medien. So lernen Kinder hier schon sehr früh, Bücher auszuwählen und andere dazulassen. Der Kinderreim wird in seiner Bedeutung nicht geschmälert, wenn Sachtexte und Rechenspiele gleichberechtigt angeboten werden, das Vorlesen von Sachtexten erweitert das Angebotsspektrum des narrativen Vorlesens.

 

Dort, wo alle sind

Buchregale mit Crossover-Literatur, also Bücher, die sowohl von Erwachsenen als auch von Jugendlichen gelesen werden können, sind eine Fortführung des Gedankens, dass sich in Öffentlichen Bibliotheken die Generationen treffen und voneinander lernen. Die Zielgruppe Familie braucht Impulse für die Kinder und das in jedem einzelnen Lebensabschnitt. Sprachförderung und Einschulung, Pubertät und Erwachsenwerden: Diese Themen füllen Regale in den Bibliotheken und Stunden in Elterngesprächen.

 

Die Öffentliche Bibliothek als kommerzfreier Raum kann ein Treffpunkt für alle sein: Sie bietet ausreichend Raum, ausreichende Öffnungszeiten, um Teilhabe für alle Zielgruppen zu garantieren. Wenn Bibliotheken durch ihren Medienbestand sowohl mehrsprachige Familien als auch bildungsferne Eltern (etwa durch zielgerichtete Werbung zu einem Kinderevent) erfolgreich ansprechen, dann ist erreicht, dass das Lesen zwar noch immer Familiensache ist, Familien in all ihren Formen dabei aber nicht alleingelassen werden.

 

Anmerkungen:

(1) Vgl. IFLA-Richtlinie für Bibliotheksdienstleistungen für Babys und Kleinkinder, http://www.ifla-deutschland.de/de/downloads/guidelines_babies.pdf.

 

 

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