Gelsen, Traktoren & mysteriöse Welten

Sachbilderbücher erzählen und informieren. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Darstellungsformen auch auf ästhetischer Ebene weiterentwickelt.

AutorIn: 
Andrea Kromoser


"Der Bauer hat einen Traktor. Hinter dem Traktor hängt die Sämaschine. Der Bauer schüttet Korn in die Sämaschine. Dann fährt er auf dem Feld hin und her. Die Sämaschine verstreut die Körner auf dem Feld." (1) – So beginnt das 1971 erschienene kleinformatige Sachbilderbuch "Vom Korn zum Brot" des deutschen Bilderbuchautors und Malers Ali Mitgutsch. Die auf der rechten Doppelseite zu dieser Textpassage dargestellte Illustration zeigt einen Mann, welcher Körner aus einem Sack in eine an einen kleinen, roten Traktor gekoppelte Sämaschine füllt. Seit den 1970er-Jahren haben sich die Darstellungsweisen von Sachinformationen in Bilderbüchern verändert und über eine bloße Abbildung von Fakten hinaus weiterentwickelt, die doppelte Erwartungshaltung an diese Form des Bilderbuches bzw. Sachbuches ist jedoch gleich geblieben.

 

Bilderbuch & Sachbuch

Schon das Wort "Sachbilderbuch" trägt zwei Gattungen in sich, das Sachbuch und das Bilderbuch. Ein Sachbilderbuch möchte wie ein Sachbuch informieren und wie ein Bilderbuch erzählen. Dabei birgt es zwei erzählerische Methoden: die Darstellung von Sachinformationen wie auch das Erzählen fiktiver Momente. Inmitten dieses Spannungsfeldes betreibt etwa der britische Bilderbuchkünstler Norman Messenger ein pointiertes Spiel mit den Genres. "Das Land ManGlaubtEsKaum" ist ein sachlich erzählter Bericht über ein fiktives Land, dargestellt in Form eines illustrierten Forschungsberichtes des "Entdeckers" beziehungsweise Autors und Illustrators. "Kapitel für Kapitel führt Norman Messenger durch seine mysteriöse Welt, die er auf ausklappbaren Bildtafeln zum Leben erweckt: von der Lebenswelt der Inselbevölkerung, über die Flora und Fauna des Landes bis hin zu wunderlichen Besonderheiten wie den Bücherberg, die fröhliche Lichtung oder den Zaubersee. Die filigranen Aquarelle verleihen dem ruhigen sowie erheiternden Reisebericht einen altmodisch-schönen Sachbuchcharakter", heißt es in einer Rezension des Buchs auf "Leporello Online". (2)


Mehrere Ebenen

Auch das 2014 sowohl mit dem "Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis" als auch dem "Deutschen Jugendliteraturpreis" (beide Male in der Sparte Sachbuch) ausgezeichnete Sachbilderbuch "Gerda Gelse. Allgemeine Weisheiten über Stechmücken" von Heidi Trpak und Laura Momo Aufderhaar bezieht eine altbewährte Strategie des Sachbuches mit ein. Den jeweiligen Illustrationen werden kurze, informative Textpassagen beigefügt: "Nur die weiblichen Stechmücken saugen Blut. Die Männchen ernähren sich ausschließlich von Pflanzensäften." (3) Diese Zusatzinformationen über die Tierart der Protagonistin bilden in "Gerda Gelse" eine zweite Textebene, während in der eigentlichen (Bilderbuch-)Geschichte die personifizierte Hauptfigur selbst in Form der Ich-Erzählung aus ihrem Leben berichtet: "Aber nicht, dass ihr denkt, wir würden euer Blut fressen! Wir Weibchen brauchen das Blut zum Eierlegen." (4) Ohne jemals auf fotonaturalistische Darstellungsformen zurückzugreifen, arbeitet auch die Bildebene mit beiden Elementen, der künstlerischen sowie ästhetischen Fiktion und der naturalistischen wie auch detaillierten Darbietung von Informationen.

 

Fiktion & Information

Das Sachbilderbuch birgt mehrfache Darstellungsformen und fasziniert doppelt, indem es interessante Themen ansprechend gestaltet erzählt. Sachbilderbücher können ästhetische Informationsquellen sein, die darüber hinaus im Rahmen ihrer fiktiven Erzählebene Möglichkeiten nutzen, die RezipientInnen direkt anzusprechen. Gleich nachdem Gerda Gelse erläutert, welche Worte wir Menschen den Stechmücken in den unterschiedlichsten Gegenden des deutschsprachigen Raumes gegeben haben, spricht sie zu ihren LeserInnen: "Aber es ist ganz egal, wie ihr uns nennt. Denn ihr Menschen und wir sind ein super Team! Ich liebe euch alle!" (5) Auch schon das eingangs zitierte Buch Ali Mitgutschs bedient sich einer Erzählstrategie, die sich direkt an die LeserInnen richtet. Bei Mitgutsch tritt eine kindliche Identifikationsfigur auf. Mittlerweile ist das Korn gereift, geerntet und zu Mehl verarbeitet worden. Dieses gelangt von der Backstube über den Bäckerladen unmittelbar in die Brezel, welche letztendlich ein kleiner Junge in der Hand hält. "In die beißt er gleich hinein. M-m-m, schmeckt das gut!" (6)

 

Anmerkungen:

(1) Ali Mitgutsch: Vom Korn zum Brot. München: Sellier 1971 (Kinderhand-Buch). [Ohne Paginierung]

(2) Rezension zu Norman Messenger: Das Land ManGlaubEsKaum. Aus dem Engl. v. Katharina Orgass und Gerald Jung. Hildesheim: Gerstenberg 2013. http://www.leporello.ch/index.php/mediothek/item/das-land-manglaubteskaum [3. Februar 2015, 14:04].

(3) Heidi Trpak/Laura Momo Aufderhaar: Gerda Gelse. Allgemeine Weisheiten über Steckmücken. Wien: Dom Verlag 2013. [Ohne Paginierung]

(4) Ebda.

(5) Ebda.

(6) Ali Mitgutsch: Vom Korn zum Brot. [Ohne Paginierung]

 

Literatur:

 

 

 

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