Interaktive Angebote für Kinder und Jugendliche

Computer- und Konsolenspiele sind salonfähig geworden. Mit einem entsprechenden Angebot können Bibliotheken vor allem Teenager erreichen.

AutorIn: 
Christian Rüscher


„Im Gegensatz zu passiven Tätigkeiten, wie Fernsehen oder Kassetten hören, ist die Beschäftigung am Computer weitaus anstrengender, weil die Kinder hier ständig Entscheidungen treffen müssen, um die Handlung voranzubringen. Diese Interaktionen zeichnen die Qualität einer Software aus …“, schreibt Thomas Feibel, anerkannter Medienexperte im Bereich Kindermedien. (1) Diese oft als „grenzenlos“ bezeichnete Interaktivität beschränkt sich jedoch tatsächlich auf die von den Machern vorgegebenen Inhalte. Eindeutig ist jedoch, dass das interaktive Medium das Prinzip des linearen Betrachtens, Lesens oder Hörens verlässt. Wenn auch nicht immer: Es gibt durchaus Produkte, die linear umgesetzt und erzählt werden.

 

Rückläufiger Multimediamarkt

Als Mitte der 1990er-Jahre Multimedia-Produkte zum Höhenflug ansetzten, sahen viele das Buch gefährdet. Aus heutiger Sicht kann man ohne zu zögern feststellen, dass dies keineswegs der Fall ist. Im Gegenteil: Der Multimedia-Markt ist stark rückläufig, was durch das inzwischen recht überschaubare Titelangebot deutlich wird. Auch die früher in großer Zahl produzierten CD-ROMs zu Sachthemen erscheinen kaum noch. Eine Ausnahme stellt der Bereich der Lernsoftware dar. Hier wurden bewährte und bekannte Reihen neu aufgelegt („Emil und Pauline“, „Alfons Lernwelt“) und verschiedene neue Reihen sind hinzugekommen („Lernerfolg Vorschule“, „Lernerfolg Grundschule“, „Lernvitamin“). Dieses Segment scheint für Bibliotheken prädestiniert, da der Bedarf an schulischen Lernhilfen in hohem Maße gegeben ist. Wegen des schrumpfenden Marktes und der im Vergleich zu den Absatzzahlen hohen Produktionskosten wurden die wenigen verbliebenen Verlage wie z. B. das Urgestein „Tivola“ verstärkt zu Kindermedienanbietern und haben neben Software auch Hörspiele, Kinderfilme und Bücher im Programm.

 

Computer- und Konsolenspiele

Computer- und Konsolenspiele sind schon längst kein Nischenprodukt mehr, sondern salonfähig geworden. Zudem ist das „Gaming“ auch kein rein männliches Hobby mehr. So belegt eine im Jahr 2012 erhobene Studie des BIU (Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware), dass jeder dritte Deutsche (25 Mio.) mehrmals pro Monat Computer- und Konsolenspiele konsumiert. Darunter befinden sich knapp 11 Millionen Frauen, die mittlerweile 44 Prozent der Gamer in Deutschland ausmachen. Maßgeblich dazu beigetragen haben die neuen Bewegungs-, Musik- und Tanzspiele, die verstärkt auch weibliche Zielgruppen ansprechen. Der deutsche Gamer ist im Durchschnitt 32 Jahre alt. Gespielt wird in jedem Alter, vor allem aber in der Gruppe der Teenager (10–19 Jahre), in der drei Viertel und damit 5,5 Millionen Jugendliche regelmäßig spielen.

 

Leider werden diese Produkte häufig in die Gewaltecke gedrängt. Natürlich gibt es eine Vielzahl von sogenannten Ballerspielen („Ego-Shooter“), aber eben nicht nur. Die unterschiedlichsten Genres sind am Markt: „Jump-and-Runs“, Simulationen, „Adventures“, Rollenspiele, Sportspiele, Rennspiele, Tanzspiele …

 

So gilt es für Bibliotheken, beim Ankauf „Ego-Shooter“ bewusst auszulassen und Titel aus den anderen Genres anzubieten. Wobei erwähnt werden muss, dass auch in Rollenspielen bzw. Strategiespielen die Spannung durch Erobern und Kämpfen erzeugt wird – aber eben in anderer Form als bei „Ego-Shootern“. Gewalt, Aggression und Eroberung werden jedoch auch in Büchern nicht ausgespart, da diese Themen zur Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen dazugehören.

 

Speziell der Computerspielmarkt ist in den letzten Jahren allerdings einem für Bibliotheken nicht sehr vorteilhaften Wandel unterworfen. Zum einen wird bei vielen erscheinenden Spielen – meist Fortsetzungen etablierter Reihen mit hohem Bekanntheitsgrad – von den meisten Herstellern ein Onlinezugang vorausgesetzt. D.h. der Spieler/die Spielerin muss während des Spielens zwingend mit dem Server des Publishers verbunden sein und zuvor einen eigenen Account anlegen. Durch diese Maßnahme versucht die Spieleindustrie, die zum existenzgefährdenden Problem gewordene Zahl der Raubkopien und dem damit verbundenen Einnahmenentgang Einhalt zu gebieten. Da pro Kopie allerdings zumeist nur eine einmalige Aktivierung möglich ist, wird der Verleih dieser Titel in Bibliotheken obsolet. Zudem werden viele gerade auch für Bibliotheken interessante Spiele mit innovativen Konzepten – oft von sogenannten „Independent-Entwicklern“ – gar nicht mehr auf Datenträgern vertrieben, sondern nur noch als Downloads angeboten. „Steam“ z. B. ist eine der marktführenden Internet-Vertriebsplattformen, welche von der ursprünglich nur als Spielentwickler tätigen Firma Valve Corporation entwickelt und betrieben wird. Das System ermöglicht sowohl die Online-Verteilung, Wartung (Patchen) und Überwachung (DRM) der Spiele als auch die Kommunikation der SpielerInnen untereinander. Sie verzeichnet laut Herstellerangaben über 50 Millionen aktive Benutzerkonten.

 

Freiräume schaffen

Entscheidende Gründe für die Beliebtheit von Computer- und Konsolenspielen bei Kindern und Jugendlichen sind das Schaffen von persönlichen Freiräumen und das „Abtauchen“. Kein anderes Medium beschäftigt und fordert gleichzeitig auf so unterschiedlichen Ebenen. Die Augen erfassen das Bild, die Ohren hören Sprache und Musik, die Hände werden motorisch, das Gehirn durch das Entwickeln von Strategien und Taktiken gefordert. „Computerspiele schaffen eine Sphäre von klarer, verbindlicher Logik, in der man sich vor der widersprüchlichen, problembeladenen Außenwelt erholen kann. Kinder können sich hier ihren persönlichen Freiraum schaffen, der sie zeitweise (!) von den sozialen Zwängen entbindet“, schreibt Manfred Schiefer in seinem Artikel „Wie sieht´s aus mit CD-ROMs und Internet?“ (2) Das soll natürlich nicht heißen, dass Probleme und Schwierigkeiten durch den Konsum von Computerspielen nur unterdrückt werden sollen. Aber kennen wir diese Strategie nicht auch von uns selbst? Oder wer kann behaupten, dass er nicht schon einmal vor der realen Welt – wohin auch immer – geflüchtet ist …

 

Da Software, Computerspiele und Konsolenspiele teuer sind, sollten Bibliotheken ihren Auftrag, Medien für jede und jeden, gleich welcher sozialen bzw. wirtschaftlichen Herkunft anzubieten, nachkommen. Ideal wäre natürlich auch die Möglichkeit der Nutzung in der Bibliothek selbst. Oder, wie Thomas Feibel meint: „Auch ein Grund, warum die Politik die Bibliotheken stärken sollte. Denn die kann jeder benutzen. Selbst wenn er kein Geld hat.“ (3)

 

Computerspiele und Konsolenspiele unterliegen dem freien Markt. Große Preisunterschiede machen das Vergleichen verschiedener Angebote notwendig.

 

Anmerkungen:

(1) Thomas Feibel: Was macht der Computer mit dem Kind? Kinder im Medienzeitalter begleiten fördern und schützen. Rheinfelden: Velber im OZ Verlag 2002, S. 15.

(2) Manfred Schiefer: Wie sieht’s aus mit CD-ROM und Internet? Neue Medien für Kinder und Jugendliche. In: Gerald Leitner/Silke Rabus (Hrsg.): Kinder- und Jugendliteratur. Wien: BVÖ 1999). (BVÖ-Materialien Bd.6), S.144.

(3) Thomas Feibel. A.a.O., S. 68.

 

 

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