Analphabetismus in Österreich

Sie haben die Pflichtschule absolviert, viele haben einen Job, manche leiten ein eigenes kleines Unternehmen: die 15 Prozent der ÖsterreicherInnen, die nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen können. All jene, die Alphabetisierungskurse besuchen, brauchen geeigneten Lesestoff und eine Lobby, die ihren Weg aus der Scham, AnalphabetIn zu sein, begleitet.

AutorIn: 
Christina Repolust


Die UNESCO kritisiert die Datenlage in Österreich zum Thema "Analphabetismus“, denn hier wird mit einer Dunkelziffer "zwischen 300.000 und 600.000 ÖsterreicherInnen“ argumentiert. Daten zur Lesekompetenz der Erwachsenen hat zuletzt die OECD-Studie "Programme for the International Assessment of Adult Competencies" (PIAAC 2011/12) erhoben: 17,1 Prozent der 16- bis 65-Jährigen in Österreich, also fast eine Million Menschen, verfügen über nur niedrige Lesekompetenz und sind dadurch mit möglichen Benachteiligungen im Beruf und Alltag konfrontiert. Die in PIAAC erhobene niedrige Lesekompetenz ähnelt zwar teilweise dem Konzept des funktionalen Analphabetismus, ist jedoch nicht direkt mit diesem vergleichbar, unter anderem, weil die Schreibkompetenz nicht erhoben wurde.

 

Aufklärung statt Ausgrenzung

Basisbildungseinrichtungen in Österreich setzen schon lange auf gezielte Lobbyarbeit für die TeilnehmerInnen der Kurse. Es ist die Scham, die Leute nicht über ihre Defizite sprechen und in Ausreden wie "Ich habe meine Lesebrille vergessen!“ oder "Ich habe mir meine Hand verstaucht und kann daher nicht schreiben!“ flüchten lässt. Das "Salzburger Netzwerk Basisbildung“ setzt hier auf Aufklärung: dass diese Bildungsdefizite nichts mit der Intelligenz der Betroffenen zu tun haben, dass diese Defizite nicht zwingend mit "prekären sozialen Verhältnissen“ zu tun haben. Die Betroffenen haben vielmehr gelernt, mit ihren Defiziten gut zu überleben: Sie prägen sich mündliche vermittelte Inhalte schnell und nachhaltig ein und punkten mit einer schnellen Auffassungsgabe. Sobald sie die Scham überwinden, ihr Defizit ansprechen und sich bei einer der Einrichtungen der Basisbildung melden, geht es mit Lesen, Schreiben, Rechnen und einem neuen Selbstbewusstsein in Richtung eines besser gestaltbaren Alltags.

 

Anlaufstelle Bibliothek

Wer als Erwachsene/r – die jüngsten KursteilnehmerInnen kommen unmittelbar nach Ende der Pflichtschule, die älteren nach Pensionierung, in die Kurse – die ersten Buchstaben lesen und schreiben kann, sucht nach passendem Lesestoff. Den in Öffentlichen Bibliotheken zu finden und sensibel bei der Auswahl beraten zu werden, ist ebenso wichtig, wie die Mitarbeit der Öffentlichen Bibliotheken als Lobbyisten für die Betroffenen. Nicht Ausgrenzung ist gefragt, sondern Aufklärung der Lesenden über die, die mit großen Defiziten die Pflichtschulen verlassen: Analphabetismus sollte kein Tabu bleiben, sondern zentrales Thema im Bildungsdiskurs sein.

 

Alfa-Telefon für Betroffene und deren Vertraute: 0810/20 08 10

 

 

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