Das Hörbuch

Das Hörbuch ist aus der Gegenwartsliteratur nicht mehr wegzudenken und schon seit längerem nicht zu überhören. Und auf den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt am Main nicht zu übersehen – werden ihm doch dort regelmäßig ganze Hallen gewidmet.

AutorIn: 
Alexander Kluy


Das Audiobuch, weit mehr als nur puristische Vorlesung, ist mittlerweile nicht nur bei AutofahrerInnen gefragt oder bei Menschen, deren Sehkraft eingeschränkt ist. Das mag unter anderem daran liegen, dass das Audiobuch heute ein breites Spektrum an Genres umfasst: Kriminal- und Spannungsroman zählen ebenso dazu wie anspruchsvolle Belletristik und Lyrik, beispielsweise Aufnahmen der Literaturnobelpreisträger T. S. Eliot („The Waste Land und weitere Gedichte“, 2013) und Tomas Tranströmer („Die Erinnerungen sehen mich an“, 2011). Auch Ratgeber wie Features und Reportagen über kulturelle, bio- oder geografische Themen – worauf sich Verlage wie Headroom mit den Reihen „Abenteuer & Wissen“ und „Abenteuer der Erde“, Silberfuchs mit Länderporträts oder geophon mit Reiseberichten spezialisiert haben – oder gesellschaftspolitische Themen sind als Audiobooks auf dem Markt. Hier ist etwa Christian Lerchs preisgekröntes Feature „Verkauft! Wie Ayub, Akhdar, Ahmed und Abu Bakr im Gefangenenlager Guantánomo Bay landeten“ zu nennen, eine Produktion der Sender ORF, SWR und WDR, die 2010 als Hörbuch im Christoph Merian Verlag erschienen ist.

 

Vorgeschichte: Hörspiel

Seltener im Programm sind Hörspiele. Dabei stellen sie ja im Grunde die Keimzelle des Audiobooks dar. Erstmals wurde 1924 ein Hörspiel ausgestrahlt, sieben Jahre später entwickelte die Library of Congress in Washington DC mit der American Foundation for the Blind, einer Blindenstiftung, ein erstes akustisches Lesesystem für Blinde. 1954 wurde die Deutsche Blindenstudienanstalt gegründet, die auf Magnetband oder Schallplatte gesprochene „Hörbücher“ versandte, es folgte die Tonbandkassette, die in den 1990er Jahren endgültig von der CD abgelöst wurde. Seit dem Jahr 2000 ist das Hörbuch ein wichtiger Faktor im Buchhandel wie in Bibliotheken, und es ist kein Zufall, dass im Jahr 2003 erstmals der Deutsche Hörbuchpreis in sieben Kategorien vergeben wurde. Tonfall, lebendige Intonation, abwechslungsreiche Sprach-, Satz- und Dialoggestaltung, Akzentuierung, dazu das Beherrschen unterschiedlicher Dialekte, Ausdrucks- und Sprachebenen: Das macht das Hörbuch so gefragt, beliebt und lebendig. (1)

 

Ergänzung und Bereicherung

Durch die Verbindung mit Musik, Klängen oder Soundscapes entsteht etwas, das nicht unmittelbar, so wie das Taschenbuch, mit der gedruckten Vorlage in Konkurrenz tritt. Sondern es ergänzt oder an- und bereichert unter Umständen wesentlich, denkt man etwa an die Hörbücher mit Miniaturen des französischen Botanikers Jean-Henri Fabre („Die gelbflügelige Grabwespe“, „Die schwarzbäuchige Tarantel“, „Der heilige Pillendreher“), die Gert Heidenreich einlas und dabei mit dem Musiker Robert Rehnig einen Partner fand, dessen elektronische Kompositionen den Text verstärken und zugleich kontrastieren.

 

Der Hörbuch-Markt und seine SprecherInnen

Mittlerweile erscheint das Hörbuch mancher Neuerscheinung zeitgleich zum gedruckten Buch, ist also ein finanziell wichtiges, begehrtes und gefragtes Nebenrecht. Von 2012 auf 2013 stieg der Verkauf von Hörbüchern um 3,9 Prozent. 13,5 Millionen Exemplare wurden im selben Jahr verkauft. Der Umsatzanteil des Hörbuchs am Gesamtbuchmarkt macht 4,2 Prozent aus, ein Plus von 0,2 Prozent. (2)

 

Andererseits ist das Segment der Anbieter in den letzten Jahren überschaubarer geworden. Fünf Verlage, im Besitz oder im Vertrieb großer Verlage – Der Hörverlag, Lübbe Audio, Argon, Random House Audio und Hörbuch Hamburg –, decken inzwischen 40 Prozent des Umsatzes ab. Streaming via Internet ist noch keine direkte Bedrohung des Trägers CD, dürfte allerdings in den nächsten Jahren merklich zunehmen. (3)

 

Prominente Stimmen

Eine weitere Entwicklung ist, dass bei vielen Hörbuchproduktionen inzwischen auf medial bekannte Sprecherinnen und Sprecher zurückgegriffen wird. So ist der aus zahlreichen Fernsehfilmen bekannte Schauspieler Jan-Josef Liefers ein ebenso gefragter Einleser wie es (auf ganz andere Art und Weise) Harry Rowohlt, Matthias Koeberlin, Ulrich Matthes oder Andrea Sawatzki, Peter Matić, Wolfram Berger („Die Großherzogin von Gerolstein“) und Erwin Steinhauer sind. Oder, geht es um Wilhelm Busch und Joachim Ringelnatz, Katharina Thalbach, die 2014 in der Kategorie Sonderpreis des Deutschen Hörbuchpreises für ihr Lebenswerk geehrt wurde (4), sowie im komödiantischen Unterhaltungsbereich Christoph Maria Herbst („Stromberg“). Axel Milberg, Darsteller eines Kommissars in der Kriminalreihe „Tatort“, hat sich auch im Akustikbereich auf Kriminalistisches spezialisiert. Er ist die Stimme der Bücher Henning Mankells und 2014 des Thrillers „Die Wahrheit und andere Lügen“ des Deutschen Sascha Arango, welcher wiederum mehrere Drehbücher für den „Tatort“ geschrieben hat.

 

Der Berliner Christian Brückner gründete gar im Jahr 2000 mit seiner Frau Waltraud, die Regie bei den Produktionen führt, einen eigenen Hörbuchverlag, in dem er alle Aufnahmen selbst einspricht. Dieses inzwischen mit mehreren Preisen ausgezeichnete akustische Signum garantiert, dass in seinem Programm Parlando anspruchsvolle Titel und als schwierig geltende Klassiker der Literaturgeschichte (Friedrich Hölderlin, Jean Paul) wahrgenommen werden – Hölderlins „Hyperion“ trug Brückner beispielsweise Ende Mai 2011 im Hölderlinturm zu Tübingen an zwei Tagen in vier Sitzungen vor Publikum vollständig vor (der Mitschnitt erschien 2012). Andere wie Rufus Beck, der die Harry Potter-Romane einlas, Laura Maire oder Jens Wawrczeck konzentrieren sich fast ausschließlich auf akustische Einspielungen, die sie manchmal – so wie jüngst Wawrczeck mit „drei“, einer Kombination dreier Schauer- und Todesgeschichten – um Songs ergänzen. „Bedrucktes Papier“, so Christian Brückner in einem Interview, „kriegt eine neue Physis.“ (5)

 

Von Robert Musil bis James Joyce

In Kooperation mit Rundfunkanstalten entstanden in den letzten Jahren außerdem vielköpfig besetzte Einspielungen von Monumentalwerken wie Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“, gelesen von Wolfram Berger, Klaus Buhlerts Adaption von James Joyces „Ulysses“ – mit 270 Studiotagen die bisher aufwändigste Hörspielproduktion in deutscher Sprache überhaupt – und Elias Canettis „Die Blendung“, bei denen Erstausstrahlung via Radio und anschließende Publizität im Buchhandel sich wechselseitig befördern.

 

Anmerkungen:

(1) Vgl. Natalie Binczek, Cornelia Epping-Jäger (Hg.): Literatur und Hörbuch (Text + Kritik 196). Verlag Edition Text + Kritik, München 2012.

(2) Vgl. http://www.boersenblatt.net/646292/template/bb_tpl_thema_artikel/

(3) Vgl. http://www.boersenverein.de/de/158256

(4) Weitere Informationen auf: http://www.deutscher-hoerbuchpreis.de

(5) http://www.buchmarkt.de/content/41343-das-sonntagsgespraech.htm

 

 

 

Zurück ...