Mit Büchern Brücken bauen
Ausgangspunkt war der Beschluss der Stadt Graz 2014, einen kommunalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung zu erarbeiten. Dazu kooperierte man mit zivilgesellschaftlichen Organisationen behinderter Menschen. Der Dialog mit Betroffenen und Organisationen trug auch in der Stadtbibliothek viel dazu bei, Mängel und Schranken zu erkennen, die Menschen daran hindern, vollständig und gleichberechtigt an Information, Bildung und Wissenserwerb teilzuhaben. Neben zahlreichen Maßnahmen wie dem ehrenamtlichen Bücherbotenservice, das beeinträchtigte sowie hochbetagte Menschen zu Hause mit Büchern versorgt, und kostenloser Hauszustellung von Bibliotheksmedien für Mobilitätsbehinderte wurde auch der Medienbestand kritisch hinterfragt.
Zielgerichtet und vernetzt
Zwei Fragen standen im Mittelpunkt: „Welche Zielgruppen sind bisher in der Stadtbibliothek nicht gut oder gar nicht mit Medien, die ihren Interessen und Bedürfnissen entsprechen, versorgt? Wie können diese Zielgruppen direkt und unbürokratisch erreicht werden?“ Als Zielgruppen, auf die mehr Augenmerk gelegt werden sollte, wurden erkannt: sehbehinderte und blinde Menschen, stark hörbehinderte und gehörlose Menschen, Menschen mit Lern- oder Leseschwächen sowie Berufsgruppen, die mit behinderten Menschen arbeiten. Es zeigte sich, wie wichtig die direkte Kommunikation und Vernetzung mit Institutionen ist, die die Bedürfnisse der Zielgruppen kennen – und dass auch sie fachspezifische Unterstützung brauchen, was als Medienschwerpunkt „Heil- und Integrationspädagogik“ umgesetzt wurde.
Postalisch und digital
Sehr hilfreich waren die neuen Kontakte zum Blinden- und Sehbehindertenverband Steiermark, da über dessen Kommunikationskanäle sehr viele blinde Menschen von den Tausenden Hörbüchern in der Stadtbibliothek erfuhren, die sie bequem und überregional über die kostenlose Blindensendung ausleihen können. Versendet werden die Medien in einer speziell designten Tasche, die mit dem Aufdruck „Stadtbibliothek Graz“ in Brailleschrift versehen ist. Mehrfach-CDs sind mit Braille-Zahlen beschriftet. Für Menschen mit leichterer Sehbeeinträchtigung steht eine gute Auswahl an Großdruckbüchern zur Verfügung. Allerdings greifen immer mehr LeserInnen mit Sehproblemen zu digitalen Medien: Die Schriftgröße je nach Wunsch wählen zu können, ist ein unschlagbarer Vorteil bei der Lektüre von E-Books. Doch die Nutzung der E-Medien ist ebenfalls mit Barrieren verbunden. Die monatlichen kostenlosen Sprechstunden „E-Book-Reader, Tablet & Co.“ mit BibliothekarIn und IT-ExpertIn sind deshalb immer gut besucht. Auch viele SeniorInnen nehmen teil. Dass Lesebrillen verschiedener Stärken an den Ausleihtheken zur Verfügung stehen, ist schon lange eine Selbstverständlichkeit.
Filmisch und gestisch
Eine kleine, feine Auswahl von Büchern mit beiliegender Gebärdensprache-DVD zielt darauf ab, Menschen mit schwerer Hörbehinderung zu erreichen. Bei Veranstaltungen, an denen etwa Klassen mit hörbeeinträchtigten SchülerInnen teilnehmen, wird auf Wunsch von GehörlosenvertreterInnen ein/e GebärdendolmetscherIn beigezogen. Eine besondere Gelegenheit, schon sehr früh Gebärdensprache als etwas Selbstverständliches zu erleben, bieten die LABUBABY-Workshops für Babys zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. Hier wird anhand von Bilderbüchern die sogenannte Babyzeichensprache, basierend auf der deutschen Gebärdensprache, vermittelt. Parallel zur gesprochenen Sprache werden Gegenstände, Tätigkeiten und Eigenschaften mit Gebärden symbolisiert. Das Angebot für hörende Kinder, aber auch für Kinder mit Lernschwierigkeiten oder verzögerter Sprachentwicklung, macht vor allem viel Spaß.
Leicht und niederschwellig
Vereinfachte Lesetexte, die „Easy Readers“, gehören schon lange zum Angebot öffentlicher Bibliotheken. Erfreulicherweise gibt es sie für unterschiedliche Lernstufen, für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, und man hat die Wahl zwischen verschiedensten Genres. Die Zielgruppen für diese klug vereinfachten und gekürzten Versionen von meist bekannten literarischen Werken sind in den letzten Jahren stetig gewachsen: Menschen mit Lern- und Leseschwächen jeden Alters, funktionale AnalphabetInnen, die sich im Aufhol- und Lernprozess befinden, MigrantInnen, die Deutsch als Fremdsprache erlernen. Insbesondere bei Bibliotheks(ein)führungen mit AsylwerberInnen, die im Rahmen von Deutschkursen die Bibliothek besuchen, sind diese Bücher eine wichtige Unterstützung beim Spracherwerb. Weiters bewährt sich, dass wichtige Dokumente der Bibliothek, etwa die Benutzungsordnung, im „Leichter Lesen“-Format verfügbar sind.
Alltags- und altersgerecht
SeniorInnen sind selbstverständlich eine Zielgruppe öffentlicher Bibliotheken, die mit Medien und Services gut versorgt sein sollte. In der Stadtbibliothek Graz Süd bietet der Medienschwerpunkt „GenerationPlus“ BenutzerInnen im besten Alter Rat, Information und Unterhaltung zu allen Themen, die mit höherem Lebensalter an Bedeutung gewinnen. Die Vernetzung mit dem Seniorenreferat der Stadt Graz leistet wichtige Dienste in der Nutzeransprache. Die Angebote der Stadtbibliothek reichen von Bibliothekseinführungen der ehrenamtlichen „Senior-Guides“ bis zu regelmäßigen Computerkursen und individuellen IT-Beratungsstunden.
Barrierefreiheit hinsichtlich des Medienangebotes zu schaffen, in jeder Hinsicht und für alle – dies ist ein kontinuierlicher Prozess, der auf Achtsamkeit und Austausch, Flexibilität und Sensibilität basiert. Es ist eine Herausforderung, die die Stadtbibliothek Graz gerne angenommen hat.
Dieser Artikel wurde erstmals in den „Büchereiperspektiven“ 2/17 veröffentlicht.