Der österreichische Film – gut oder erfolgreich?
International erfolgreich sind österreichische Filme nämlich vor allem auf Festivals. Und Festivals haben sich längst zu einem Paralleluniversum zum herkömmlichen Kino entwickelt. Von den in Europa hergestellten Spielfilmen – es sind mittlerweile mehr als 1.500 pro Jahr – werden weit weniger als die Hälfte regulär in Kinos ausgewertet. Der größte Teil ist ausschließlich auf den Leinwänden kleinerer oder größerer Festivals zu sehen. Und selbst ein ansehnlicher Festivalerfolg garantiert noch keineswegs, dass der gegebenenfalls mit mehreren Preisen prämierte Film außerhalb des Festivalbetriebs eine entsprechende Zahl von Besuchern ins Kino lockt.
Ein anschauliches Beispiel ist "Michael", das Regiedebüt von Markus Schleinzer über einen allein lebenden Versicherungskaufmann, der in seinem Keller ein Kind gefangen hält, um es regelmäßig sexuell zu missbrauchen. Der Film war für mehr als ein Dutzend internationale Wettbewerbe nominiert und hat einige renommierte Preise gewonnen. Im Kino gesehen haben ihn allerdings wenig mehr als 6.000 ZuseherInnen (das ist ein Hundertstel der Besucherzahlen einer 08/15-Hollywood-Komödie wie "Hangover 2", die im selben Jahr wie "Michael" in österreichischen Kinos lief).
Qualität oder Markterfolg?
Mit qualitativ anspruchsvollerem Kino scheint es also so zu sein wie mit anspruchsvoller Literatur: Das Feuilleton und ein kleiner Kreis von Connaisseurs liebt sie, die Mehrheit ignoriert sie. Diese Ansicht vertreten vor allem ambitionierte Filmemacher, denen ein nennenswerter Markterfolg versagt bleibt. Doch abgesehen davon, dass sie ihre Meinung zu diesem Thema in der Regel ändern, sobald sich der Erfolg einstellt, lässt sich feststellen, dass sich das erwähnte Konfliktverhältnis zwischen Qualität und Markterfolg ebenso gut widerlegen wie bestätigen lässt. Natürlich hat es eine flockige Kalauerkomödie mit lauter aus Funk und Fernsehen bekannten Publikumslieblingen in den Hauptrollen leichter als ein im Sozialbau angesiedeltes Migrantendrama von einem Filmakademie-Absolventen. Andererseits würde sich ein Michael Haneke, der mit seinem trostlosen Sterbedrama "Liebe" die 100.000er-Marke überschritten und mit dem Vorgänger "Das weiße Band" gar über 120.000 ZuseherInnen ins Kino gelockt hat, zu Recht dagegen verwehren, dass er sich neuerdings mit Qualitätsabstrichen einem breiten Publikum andient. Unter den bemitleidenswertesten Flops wiederum finden sich ganz gewiss nicht nur verkannte experimentierfreudige Meisterwerke, sondern durchaus Filme, die es prinzipiell mit einem breiteren Publikum aufnehmen wollten.
Österreichischen Filmen in branchenüblicher Graben-Mentalität entweder Qualität oder Marktfähigkeit zu bescheinigen – sprich: sie in Kunst auf der einen und Kommerz auf der anderen Seite zu trennen –, mag in manchen Fällen zwar eine gewisse Richtigkeit zu haben. Dennoch ist sie weder für Filmschaffende noch fürs Kinopublikum eine sinnvolle Orientierungshilfe. Niemand macht Filme, um damit möglichst wenige ZuseherInnen zu erreichen (und das als Qualitätsbestätigung zu interpretieren). Und es mögen auf der Publikumsseite zwar viele dem Herdentrieb folgen und sich vornehmlich Filme ansehen, die jeder andere auch sehen will, aber es wird kaum jemand das Kino verlassen, wenn plötzlich (was mitunter vorkommt) ein Kassenschlager mit hohem künstlerischen Niveau überrascht.
Komödien mit Starbesetzung oder die richtigen Themen?
Ein Blick auf die österreichischen Kassenschlager der letzten 20 Jahre zeigt zwar einerseits, dass die hierzulande bewährte Kombination Komödie mit Kabarettisten-Starbesetzung besonders erfolgsträchtig ist. Er zeigt aber auch, dass diese Kombination weder im Widerspruch zu Qualität stehen muss – z. B. die Kabarett-Adaption "Indien" von Paul Harather (1993) oder Wolfgang Murnbergers Wolf-Haas-Verfilmungen "Komm süßer Tod" (2000), "Silentium" (2004) und "Der Knochenmann" (2009) –, noch dass lediglich diese Kombination Erfolg verspricht. Man denke an Erwin Wagenhofers beispiellos erfolgreichen Dokumentarfilme "We feed the world" (2005) und "Let’s make money" (2008), Stefan Ruzowitzkys mit dem Auslandsoscar prämierten Film "Die Fälscher" (2007), das Regiedebüt des Schauspielers Karl Markovics "Atmen" (2011) oder Ulrich Seidls "Hundstage" (2002). Natürlich ließen sich für jeden dieser Filme glückliche Umstände anführen, die den Erfolg mitbegründet haben. Die Finanzkrise, die in Fall von "Let’s make money" wie ein spektakulärer PR-Gag gewirkt hat, ein "Oscar", der "Die Fälscher" auch für Nicht-CineastInnen attraktiv erscheinen ließ, die Bekanntheit des Schauspielers Karl Markovics (unter anderem aus "Die Fälscher"), auf dessen ersten Spielfilm "Atmen" natürlich sehr viele neugierig waren, der Spezialpreis der Jury für "Hundstage" den Filmfestspielen in Venedig. Doch sind diese scheinbaren "Glücksfälle" nicht auch Qualitätsmerkmale? So hat Erwin Wagenhofer mit seinen Dokumentarfilmen etwa ein besonderes Gespür für die richtigen Themen zum richtigen Zeitpunkt gezeigt, und Preise wie der "Auslandsoscar" oder der Jurypreis in Venedig zeugen an sich schon von einem gewissen Niveau. Und wäre "Atmen" nicht ein guter Film, hätte auch der bekannte Schauspieler auf dem Regie-Posten nichts genützt.
Mit der aggressiven Großmacht Hollywood konkurrieren zu wollen, wäre für ein kleines Filmland wie Österreich albern. Und ebenso albern wäre es, sich trotzig in eine Nische zurückzuziehen und sich angewidert vom Markt abzuwenden, weil der eigene gute Geschmack in so krassem Gegensatz zur Geschmacklosigkeit der Massen steht.
Für die genannten Erfolgsfilme aus Österreich gilt letztlich, was Billy Wilder, in dessen Filmen Qualität und Markttauglichkeit souverän vereint sind, als die drei wichtigsten Regeln fürs Filmemachen genannt hat: "Du sollst nicht langweilen, du sollst nicht langweilen und du sollst nicht langweilen".