Der Ingeborg-Bachmann-Preis 2016 geht an die britische Autorin Sharon Dodua Otoo für ihren Text "Herr Gröttrup setzt sich hin".

Die in London geborene Schriftstellerin konnte am vergangenen Wochenende mit Surrealität und charmantem Humor punkten: In „Herr Gröttrup setzt sich hin“ beschreibt sie die Szene eines spießigen deutschen Pensionistenpaars am Frühstückstisch. Das harmonische Bild wird überraschend zerstört durch ein gekochtes Ei, das nicht hart (genug) ist und den nörgelnden Familienpatriarch Göttrup anspritzt, als er es köpfen will. Die Wende gelingt und die vermeintliche Reportage wird zur Satire: Das Ei ist nämlich nicht einfach nur ein Ei, sondern Ich-Erzähler der Geschichte. Und um Herrn Göttrup eins auszuwischen, beschließt das Ei, nicht hart zu werden.
Das Wohlwollen der Jury in der der Lesung folgenden Diskussion war mehrheitlich: Klaus Kastberger hört darin Thomas Bernhard mitschwingen und Stefan Gmünder würdigte den Beitrag als „sehr gut, zum Schluss hat das Vergnügung total überwogen.“ Ein „gutes Händchen“ bewies damit erneut Jurorin Sandra Kegel, die Otoo um den Preis ins Rennen geschickt hatte – sie hatte auch die letztjährige Siegerin Nora Gomringer ausgewählt.

 

Heuer wetteiferten insgesamt 14 AutorenInnen aus Deutschland, Österreich, Großbritannien, Frankreich, Serbien, Türkei, Israel und der Schweiz um den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis und die drei Nebenpreise. Riskante, waghalsige Texte hatten sich Juryvorsitzender Hubert Winkels und sein Vorgänger Burkhard Spinnen am Mittwochabend bei der Eröffnung im ORF-Landesstudio in Klagenfurt gewünscht. Am Sonntag, dem Tag der Entscheidung sah es dann aber doch etwas anders aus; nonkonforme Beiträge wie etwa Tomer Gardis (ISR) titelloses Sprachspiel im „Broken German“ oder Bastian Schneiders (D) zerstückelte Kurzprosa in „MEZZANIN“, wurden von der Jury nicht einmal in die Shortlist der sieben besten Texte gewählt. Auch die in den Diskussionen am ersten Lesetag vielseitig gelobte Autorin und Facebook-Hype Stefanie Sargnagel schaffte es letzten Endes nicht in die engere Auswahl. Die humorvolle, derbe und doch liebevolle Darstellung eines Tages im Leben einer Auftragsautorin im winterlichen Wien kommentierte Juryvorsitzender Hubert Winkels mit Respekt: nicht ganz neu, aber gut gemacht. Als Sandra Kegel der Begeisterung für ihre Autorin Ausdruck verlieh – „Gegen die zerrissenen Typen aus Wien kann Faust einpacken“ – wünscht sich Klaus Kastberger, dass man „nicht schon nach drei Minuten den Gral und den Faust“ auspacke. Bezugnehmend auf Burkhart von Spinnens Eröffnungsrede betonte er allerdings, Sargnagels Text könnte zeigen, dass die Tätigkeit eines Bachmannjurors nicht nur Mühe, sondern auch Vergnügen ist, ohne dabei seicht zu sein: Der Text sei klüger und tiefsinniger, als er tue. Er würde sagen, „ich bin Literatur, aber ohne Literatur“.

 

Thematisch begaben sich in diesem Jahr auffällig viele Texte in Auseinandersetzung mit dem „Fremden“, unmittelbar in Astrid Sozios (D) Text „Das verlassenste Land“ bzw. waren im südamerikanischem oder afrikanischem Raum angesiedelt, etwa die Beiträge von Jan Snela (D) oder Sascha Macht (D). Als interessante Gemeinsamkeit der Texte war neben dem fast konsequenten Einsatz von Ich-Erzählern ein Interesse am „anderen“ Gegenüber, so wählten gleich drei junge Autorinnen die Perspektive eines älteren Mannes.

 

Prämiert wurden neben Sharon Dodua Otoo der Schweizer Dieter Zwicky mit dem Kelag-Preis sowie die Deutsche Julia Wolf mit dem 3sat-Preis. Zwicky trat bereits 2007 zum Bachmann-Preis an. In seinem Text „Los Alamos ist winzig“, den er als letzter Lesender am Samstag Nachmittag vortrug, beobachtet der Ich-Erzähler Eigenarten und Einwohner der Stadt Los Alamos. Juri Steiner ernannte Zwicky in seiner Laudatio zu einem Magier: „Wir sind nicht verdutzt, sondern verzwickt“. Stefanie Sargnagel erhielt bei der Online-Abstimmung für den mit 7.000 Euro dotierten BKS-Bank-Publikumspreis die meisten Stimmen. An diesen Preis, über den als einzigen nicht die JurorInnen, sondern die (Fernseh-)ZuschauerInnen abstimmen, ist auch das Stadtschreiberstipendium der Stadt Klagenfurt geknüpft. Zu übersehen war die Autorin bei der Preisverleihung jedenfalls nicht: mit dunklen Sonnenbrillen und in Gefolgschaft ihrer Burschenschaft gab sie sich inszeniert gelassen: "Die Welt sehnt sich offensichtlich nach dem Matriarchat", kommentierte sie offenbar zufrieden Otoos Sieg.

 

Zum Pechvogel des Tages wurde diesmal der in Salzburg lebende Serbe Marko Dinić, der von der Jury überwiegend positives Feedback zu seinem Text „Als nach Milošević das Wasser kam“ erhielt. Als ewig Zweitgereihter in den Stichwahlen erinnerte die Prozedur an den Abstimmungskrimi im vergangenen Jahr, als Favoritin Teresa Präauer durchgereicht wurde und schlussendlich leer ausging. „Naja, an der Himmelspforte zum literarischen Olymp gekratzt habe ich zumindest.“, so der gefasste Verlierer.

 

Im Sinne von Ingeborg Bachmann „Nichts Schöneres unter der Sonne/ als unter der Sonne zu sein.“ (1956) wurden alle Lesungen wieder „live“ via Public Viewing im Lendhafen, einem Out-door-Café für zeitgenössische Kunst in Klagenfurt, übertragen. Abends trafen sich hier AutorInnen, VerlegerInnen, LiteraturagentInnen und Interessierte, um in den berühmten Bachmann-Liegestühlen über die Auftritte des Tages zu diskutieren.
Das Rahmenprogramm bot in diesem Jahr vielseitige Veranstaltungen theatralischer wie musikalischer Art mit LiteraturDJing, Interviews sowie einem international ausgeschriebenen Fotowettbewerb („Wort im Bild") zum Thema Literatur. Uraufgeführt wurde auch das szenische Doppelportrait „Es gibt mich nur im Spiegelbild“ von Maxi Blaha, gewidmet zwei österreichischen Ausnahme-Autorinnen und zu Ehren ihrer Geburtstage  (90. GT Ingeborg Bachmann / 70.GT Elfriede Jelinek).

 

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