Rick Reuther bloggt: I put a smell on you

Nach dem Tod der dreiunddreißigjährigen Dichterin und Künstlerin Ianina Ilitcheva kümmert sich Rick Reuther darum, dass ihr literarisches Werk weiterverbreitet und sie nicht vergessen wird.

Man hat selten Desinfektionsmittel dabei, aber schnell mal eine Parfumprobe. Es ist ein kurzer Schmerz, der lange nachduftet.

20:27 - 20. Juni 2014, @blutundkaffee

 

Barbi Marković, die mal auf derselben Straße gewohnt hat wie ich jetzt, aber bevor ich überhaupt nach Österreich gezogen bin, hat mich gefragt, ob ich was über Ianina Ilitcheva schreiben mag. Was ich gerne mache, denn Barbi ist ultra-super und Ianina sowieso die Allerbeste. Ich werde aber nicht darüber schreiben, wie sehr ich Ianina vermisse, denn das lässt sich eh bloß ansatzweise beschreiben.

 

Ianina ist jetzt seit fast zwei Jahren tot. Österreich eskaliert inzwischen komplett. Ianina hat hier gelebt. Ich lebe hier. Ianina und ich, wir sind beide nicht hier geboren. Ianina wurde in Angren, Usbekistan geboren und ich bin ein Piefke. Es ist Ende September 2018, the seas are warming, the summer is ending; each day lasts a century, and we are everywhere ruled by large adult sons, schreibt Jia Talentino. Gottfried Waldhäusl von der FPÖ verbietet Asylbewerber*innen, ihre „Quartiere“ zu verlassen, und ist für den Abschuss ausländischer Wölfe. Ich frag mich oft, was Ianina so zur aktuellen Lage sagen würde.

 

Sollen die anderen Kriege führen, du, glückliches Österreich, schnitzelfresse!

20:56 - 2. März 2014, @blutundkaffee

 

Ianina mochte Wölfe. Ich auch. Wir haben uns oft Videos geschickt, z. B. WOLVES are dangerous but they are also FRIENDLY, Very Cute Shiba Inu Dog Howls like a Wolf at Alarm Clock und dieses lustige Rudel auf der Jagd nach Käseleberkäsesemmeln. Freundschaft.

 

Ianina kam als Kind zusammen mit ihrer Mutter aus Usbekistan nach Wien, weil hier die Behandlungsmöglichkeiten für ihre Krankheit besser waren. Das war 1991. Heute wäre so eine Art von Umzug so gut wie unmöglich, es sei denn, du hast arg viel Geld und kaufst ein Haus in Portugal oder ein Visum für dreihunderttausend Euro in Ungarn. 1991 gab es kaum Wölfe in Wien, nur in Schönbrunn vielleicht.

 

Eine erste Version von diesem Text ist an dieser Stelle ziemlich propagandistisch geworden: Ich habe meine Erinnerungen an Ianina und ihre Tweets dazu verwendet, hier ärgstens herumzuagitieren und alles anzuzünden. Dann habe ich einem gemeinsamen Freund von uns den Text geschickt und gefragt, wie er ihn so findet.

Und er so: „ich glaub wichtig ist, ob du mit dem text zufrieden bist. aber wenn du fragst: ich würde lieber einen ehrlichen erinnerungstext von dir über ianina lesen als einen der nur so bissl erinnerung und dafür sehr viel agitation ist und sie bissl zur rechtfertigung für das nimmt.“

 

Danke. Stimmt 100%. Ianina war weder Che Guevara noch Gavrilo Princip, zum Glück. Am 7. Juni 2014 schrieb sie: Gefühle könnte man auch marinieren. In Sake und Zitronengras, etwas Thymian, Knoblauch, Sesamöl - und ich glaube zum Beispiel nicht, dass Che z. B. jemals so gut kochen konnte. Wobei kochen auch politisch ist. Idk. Jedenfalls, einmal wollte sie beim Akademikerball einen Wal über die Barrikaden werfen und eine weitere, bissi politisierte Anekdote möchte ich hier trotzdem erzählen, weil ich muss immer wieder lachen, wenn ich dran denk.

 

Es geht um die Geheimoperation Vampir: Im Juni 2016 wollten die Identitären mal wieder durch Wien marschieren und unser Freund*innenkreis hatte sich schon länger darüber Gedanken gemacht, wie wir diese Gelbhemden mal gscheit ärgern könnten, ohne dabei ernsthaft Straftaten zu begehen oder irgendwem wehzutun. Irgendjemand, nein, nicht irgendjemand, sondern natürlich Ianina, dieses Genie, kam dann irgendwann, ich glaube, nachdem wir uns ein Video angeschaut hatten, wie dieser Sellerie über Kebab schimpft, auf die Idee, wir könnten theoretisch doch mal olfaktorisch Hi sagen.

 

Die freien Abende bis zur Demo verbrachten wir also damit, tonnenweise Knoblauchzehen auszupressen, und mit einigen weiteren, unbekannten Zutaten mischte Ianina daraus einen, sie nannte es, glaube ich, Hexenspritzer. Spritzer oder Orgasmus, ich weiß es nicht. Ianina hatte teilweise einen arg sexualisierten Humor, sie konnte ein arger Macho sein. Anyhow, als sich die Rechtsextremen dann am Tag ihrer Demo am Urban-Loritz-Platz trafen, waren rundherum in den Büschen und Ecken überraschenderweise ganze Nester voller prallgefüllter Luftballons zu finden. Und irgendwelche Leute fanden sie auch. Verfaultes Aioli x 3? Ich habe den Geruch heute noch in der Nase, was natürlich Quatsch ist, weil ich mir diese ganze Geschichte eben bloß ausgedacht hab.

 

go home, Martin, you smell.

00:53 - 12. Juni 2016, @blutundkaffee

 

Aber Ianina hat inzwischen Besseres zu tun, als an irgendwem zu riechen (oder vielleicht tut sie grad auch genau das und es ist super, keine Ahnung). Sie hat sich damals gewünscht gehabt, dass die lokale Fischpopulation ihre Asche snackt, und genau das ist auch passiert. Inzwischen ist sie das Wasser, die Wolken und der Wind.

Neulich hat ihre Mutter an der Stelle, wo Ianinas Asche ins Wasser geweht ist, eine schwimmende Kerze auf die Donau gelegt. Und die Kerze ist auch erst ganz normal mit ein paar Ästen und Schwänen Richtung Bratislava geschwommen. Aber knapp vor der Praterbrücke ist sie einfach wieder umgedreht und stromaufwärts Richtung Ufer gesteuert?!?! Was ist da los, Ianina? Kein Witz, es gibt ein Video davon. Und ich vermisse dich so, verdammt. Neulich hab ich Hermes Phettberg was von dir vorgelesen, er musste sehr oft lachen und vermisst dich auch. Deine Mutter eh. Alle. Liebe. Im April gehma wieder Schaumkraut ernten.

 

Es gibt Anlass für Sturm, wann kommt endlich der Sturm, die Barrikaden werden halten, wie immer.

07:17 - 31. Jan. 2015, @blutundkaffee

 

© privat

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Ianina Ilitcheva (* 4. Dezember 1983 in Angren, Usbekisten  † 20. Dezember 2016 in Wien ), alias Annemarie Kuckuck alias @blutundkaffee, war eine österreichische Autorin und Künstlerin usbekisch-russisch-nordkoreanischer Herkunft. Nach der Matura studierte Ilitcheva erst Malerei an der Akademie der bildenden Künste Wien (Meisterklasse Daniel Richter) und dann ab 2013 am Institut für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst. Bis zu ihrem Tod im Dezember 2016 produzierte sie ununterbrochen Texte, Tweets, Blogs, Erzählungen, Gedichte, Performances und bildnerische Arbeiten. ua 183 Tage, Kremayr & Scheriau, Wien 2015 und aus dem Nachlass @blutundkaffee, Frohmann, Berlin 2017

Gastblogger/in

© privat
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Rick Reuther, geboren 1993 in Hamburg, lebt seit einem halben Jahrzehnt in Wien, wo er gemeinsam mit Ianina Ilitcheva am Institut für Sprachkunst studiert hat und inzwischen was mit Gender, Asyl, Jugendarbeit und Traurigkeit macht. @wasserdanke

 

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