Mascha Dabić bloggt: No worries: Vom Bibliotheksglück im Kulturschock

Mascha Dabić bloggt über ihre Zeit im fremden Australien und über die Bibliothek als vertrauten Ort der Zuflucht.

Eine Bibliothek, in der man liegen kann? Einfach so, ungeniert da liegen, auf einer bequemen Couch, den Kopf auf einem, nein, zwei! großen, bunten Kissen, die Füße hochgelegt (ohne Schuhe, selbstverständlich), wie daheim, nur schöner, weil das eigene Chaos nicht stört? Ja, das gibt’s. Im Stadtteil King’s Cross, Sydney, of all places.

 

Wieso ich das weiß? Lange Geschichte, hier die Kurzversion:

Australien stand nie auf meiner To-Go-Liste, mal abgesehen davon, dass ich keine solche führe (die To-Do-Liste ist schlimm genug). Trotzdem hat es mich nach OZ verschlagen, ans sprichwörtliche andere Ende der Welt. Noch weiter weg ist nur Neuseeland. Der Grund ist eine Konferenz, genauer gesagt der Weltkongress der Übersetzer, aber das tut jetzt nichts zur Sache.

 

Vom Jetlag ruiniert und von der erbarmungslosen Flugzeugluft verkühlt taumle ich in den ersten Tagen wie ein Zombie durch die streets of Sydney. Ich geb’s zu, ich gehöre zu denen, die im Falle von akutem Kulturschock auf Coca Cola und McDonald’s zurückgreifen. Schmeckt genauso nicht wie daheim, aber man kennt’s halt, es ist ein Stück Heimat auf dem neuen Kontinent. Außerdem hat McDonald’s WLAN.

 

Apropos Coca Cola: Der Stadtteil King’s Cross, wo ich mir mit einem halben Dutzend australischer Kakerlaken ein Hostel-Zimmer teile, ist auf Grund eines überdimensionierten Coca-Cola-Neonschildes auf einem Hügel leicht zu finden. Mein Reiseführer behauptet, King’s Cross sei „ein dekadentes Rotlichtviertel“. Dekadent – weiß nicht, Rotlicht – weiß nicht, aber ja, stimmt schon, den Schrebergartenwettbewerb würde King’s Cross nicht für sich entscheiden.

 

Eines Nachts – für meinen europäischen Biorhythmus ist es noch hellichter Tag – wanke ich also, gebeutelt vom Kulturschock, durch King’s Cross, betrachte die blinkenden Neonschilder, die Frauen und Männer, die auf riesigen Plateauschuhen nonchalant auf und ab gehen und ihre Dienste anbieten, Junkies, Backpackers, alle möglichen Zeitgenossen halt. Zwischen den vielen blinkenden Neonlichtschildern springt mir ein einziges ganz schlichtes Schild ins Auge: King’s Cross Library. Da muss ich morgen hin, denk ich sofort. Nach einer weiteren Jetlag-Horrornacht mache ich mich am nächsten Tag auf, die Bibliothek zu erkunden, und siehe da, es ist ein Juwel unter den Bibliotheken. Liegeplätze, gemütliche Sessel, Kaffeebecher auf den Tischen, einige zeitungslesende Obdachlose, zwischendurch summt jemand laut, der helle Raum mit vielen Holzelementen durchflutet von der milden australischen Wintersonne (es ist Juli).

 

Das gestrenge Nationalbibliotheksregime im Nacken wende ich mich furchtsam an einen weißhaarigen Mann, der hier zu arbeiten scheint: „Sir, do I have to put my stuff into a locker?“ Er schaut mich entgeistert an und lacht: „No worries, Ma’am, just come in!“

 

So einfach kann es sein. Nichts wie rein ins Bibliotheksglück. Keine Gebühr, keine Mitgliedschaft, kein gar nix.

Seit der Schulzeit erlebe ich Bibliotheken wie Zufluchtsorte – Zuflucht vor der eigenen Rastlosigkeit. In einer Bibliothek finde ich Ruhe und inneren Frieden wie sonst kaum irgendwo. Die Bibliothek an sich ist für mich die perfekte Auflösung des schopenhauerschen Stachelschweindilemmas: Stachelschweine sollen genug Nähe aufbauen, um sich gegenseitig zu wärmen, und genug Abstand, um sich nicht gegenseitig zu stechen. Eine Bibliothek gibt genau das: Alleinsein und Miteinandersein, im perfekten Gleichgewicht. Eine Bubble. Ein temporäres Schneckenhaus. Eine Oase. Ein kleines Universum, wo man ohne kommerzielle Hintergedanken sein kann. Just be.

Gastblogger/in

Mascha Dabić
(c) Mascha Dabić

Mascha Dabić, 1981 in Sarajevo geboren, ist eine in Wien lebende Schriftstellerin, Übersetzerin und Dolmetscherin. Ihr Debütroman „Reibungsverluste“ wurde für den Franz-Tumler-Literaturpreis nominiert. Bild: Mascha Dabić

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