Marko Dinic bloggt: Über einen, der ausschwärmte, um Rausch zu ernten

Wie war das dort in Klagenfurt? Marko Dinic war in diesem Jahr für den Bachmannpreis nominiert und teilt im Blog die Atmosphäre hinter den ORF-Kulissen.

Ich gebe zu, die ersten paar Bier gingen aufs Haus. Das machte mir und manch anderem den Einstand beim 40. Bachmannpreis definitiv leichter. Waren wir doch allesamt gekommen, um uns vor einem Publikum zu entblößen, das auf den ersten Verriss wartet wie der demütige Christ auf die frohe Botschaft. Zugegeben, der Vergleich mag nicht jedem einleuchten. Trotzdem macht so viel fleischgewordener Literaturbetrieb durstig. Und für einen wie mich, der – wie Goethe so schön sagen würde – keine Ahnung von Tuten und Blasen hat, ist eine Flasche (OK, es waren mehrere Flaschen) kühlen Gerstensuds mehr als nur eine Ablenkung, sie gleicht mehr der Boje auf offenem Meer oder dem erlösenden Schlussakkord einer Vorbandzugabe. Kurzum, die ersten paar Bier gingen aufs Haus. Die nächsten Tage gestalteten sich hinsichtlich dessen etwas schwieriger. Ich legte zu viel Wert auf meinen Status als  bachmannpreisnominierter Wirtschaftsflüchtling vom Balkan (immerhin der erste Tschusch seit Stanišić!). Dieser Status sollte mir Backstage – so die Annahme – literweise Erfrischungsgetränke bescheren, inklusive Häppchen für zwischendurch. Meine Annahme erwies sich im Nachhinein als bodenlose Frechheit. Um allen Missverständnissen vorzubeugen, schickte ich mich an – revolutionär gebärdet und mit allen chlordurchsetzten Wassern Belgrads gewaschen –, dem Fehler im System auf die Schliche zu kommen. Man versuchte mich, mit allen möglichen Argumenten abzuspeisen: Das Land sei pleite, das Budget zu klein, die Ausgaben zu groß, das Buffet und dazugehörige Bier zu teuer. Nach außen gab ich mich verständnisvoll, auch wenn ich dermaßen pleite war, dass ich mir nicht einmal den kostenfreien Kaffee leisten konnte. Der Alkoholiker in mir jedoch fasste sich mit beiden Händen an den Kopf und schrie grundlos Plüschhäschen an.
 

All das hing damit zusammen, dass ich immer eine äußerst eingefahrene Vorstellung von diesem ganzen Trubel hatte: Massen an überprivilegierten Leuten, die Automaten gleich tagelang auf Texte starren und jedes Wort zweimal umdrehen. Daneben besaufen sie sich und fressen kostenlos am riesigen Buffet. Dass alles viel kleiner, gesitteter und langweiliger zugeht als im Fernseher stimmte mich nachdenklich. Vielleicht war der Fehler nicht im System, sondern bei mir? Gerade mal hundert Menschen zirkulieren auf dem Gelände, geschätzte achtzig von ihnen aus dem sagenumwobenen Literaturbetrieb-Monster, das sich alsbald zu einer geselligen Zeitgenossin mausern sollte. Zumindest wurde mir so berichtet. Hinter den Kulissen herrscht reger Betrieb: Kameraleute drehen, das Publikum wartet, die Verlagsleute suchen etwas Bestimmtes, Securityleute bewachen, Menschen mit Knopf im Ohr halten sich die Hand an dasselbe, Maskenbildner maskenbildnern, Ankowitsch ankowitscht und die Jury urteilt. Alles im monotonen Fluss eines leisen Stresspegels, der mehr vom Zeitdruck ausgeht als von den Menschen selbst. Ich kann zwar nicht für die anderen Lesenden sprechen, aber ansteckend ist das allemal. Plötzlich hat man gehörig die Hosen voll, weil man vor laufenden Kameras sich und so viel fleischgewordenen Professionalismus nicht diffamieren will. Die Kehle ist trocken. Ein Kloß im Hals will ums Verrecken nicht aus meiner Kehle. Man verkabelt mich, gibt mir Kopfhörer, aus denen Laut Antmasque zu hören ist. Die Minuten bis zur Lesung verbringe ich wie im Moshpit: springend und unsichtbare Menschen schubsend. Dann, kurz vor 12, bringt man mich in den Backstage. Der Kloß im Hals ist auf einmal weg. Endlich, denke ich mir, ein Schluck vom kühlen Backstagebier und ein kleiner Bissen vom Buffetweckerl vor der Lesung, das sollte mich auf andere Gedanken bringen. Dann die Enttäuschung über einen kahlen, quadratischen Raum, in dem außer einem Fernseher noch ein Kühlschrank stand, dessen Inhalt aus einer offenen Schokolade und einer Ottakringerdose bestand, die mit Sicherheit Stefanie Sargnagel gehörte.  
 

Zugegeben: das Ganze glich einer riesigen Egonummer angesichts aller Probleme, die Erdengenerationen zu haben pflegen. Doch ich bin im Krieg aufgewachsen. Jedes Kriegskind lernt irgendwann während seines Kriegskindseins, dass etwas Abgängiges durchaus besorgt werden kann, nämlich durch Zielstrebigkeit, Abgebrühtheit und Improvisation. Gleich nach meiner Lesung legte ich los. Die Lesungen und Diskussionen an den weiteren Tagen ignorierend, setzte alles daran, Taten folgen zu lassen. Ich streifte wie ein hungriger Schakal durch die Straßen, geld- und planlos, doch immer mit einem klaren Ziel vor den Augen. Ich brauchte kein Viersterne-Hotel, keine Bachmannkonterfeiumhängetasche, oder diverse Stadtführer durch Klagenfurt. Als Knecht meines temporären Solipsismus war mein ganzes Wesen nur auf eins gerichtet: den Rausch. Dass ich viele Tage später verkatert, gedächtnislückig und mit dem Gesicht im Gras am Lendhafen aufwachte, war schlussendlich der Beweis dafür, dass sich vieles aus meiner Kindheit in mir festgesetzt hatte und angesichts des alles verzerrenden Katers überdurchschnittlich gut funktionierte. Als ich wieder zum ORF-Studio gelangte, war der ganze Spuk vorbei: die Zelte waren abgebaut, die Fassade frisch gestrichen, die Hauptprotagonisten ausgetauscht, und die kahlen Bäume bedeuteten mir, dass der Winter nicht weit sein konnte. Eine leise Trauer setzte ein, als ich bemerkte, dass niemand kommen würde, um mich abzuholen. Und der fahle Beigeschmack, etwas Aberwitziges verpasst zu haben.

Gastblogger/in

Marko Dinic
Marko Dinic (c) Mark Prohaska

Marko Dinic, geboren 1988 in Belgrad, zog 2008 nach Österreich und begann das Studium der Germanistik und Jüdischen Kulturgeschichte in Salzburg. Es folgten Publikationen von Lyrik und Prosa in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien. Er ist Mitbegründer des Kunstkollektivs Bureau du Grand Mot sowie Organisator des INTERLAB – Festival für transdisziplinäre Kunst und Musik. Marko Dinic nahm 2016 bei den 40. Tagen der deutschsprachigen Literatur teil.

 

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