Gertraud Klemm bloggt: Frankfurt
Zur Messe kann man zu Fuß vom Bahnhof gehen. Das Pflaster des Gehsteigs ist schleißig und aus roten und grauen Steinen gelegt, die unterschiedlich tief einzusinken scheinen. Sicher haben die schon mehrere Trolleys als meinen auf dem Gewissen. Ich reise sicherheitshalber mit geschulterter Ledertasche zur Buchmesse, dafür riskiere ich Stiefel mit dezenten Absätzen, von denen einer gefährlich klappert.
Ich habe vier Stunden geschlafen. Heuer wurde ich erst spät eingeladen, und musste dementsprechend den ersten Frühflieger nehmen und das letzte leistbare Zimmer. Es liegt verkehrsgünstig neben einer menschenleeren S-Bahnstation, die mir Angst einflößt.
In der Halle 4 sehe ich schon von Weitem, dass mein Messe-Trampelpfad vom Foyer zum Stand verstopft ist. Preisträger verursachen solche Gangverstopfungen. Tatsächlich, der heurige Deutsche Buchpreisträger: Scheinwerfer, vier Kameras, und Leute, die ihn lachend umringen. Das ist das Schöne am Preise-Gewinnen: Man kann so viele mit seinem Glück mitreißen. Der Literaturbetrieb, das ist mehr als das Gespann Autor/Verlag, denke ich und weiche zwei Gänge nach links aus. Das ist ein riesiger, schnatternder und surrender Apparat, und wir Schreiberlinge sind nur ein kleines Rädchen darin. Jetzt habe ich die Orientierung verloren und komme vor der Buchpräsentation eines Autors, der mir bekannt vorkommt, zu Stehen. Er ist ebenfalls Deutscher Buchpreisträger, aber ein verjährter, und er liest vor gezählten drei Zusehern. Ich spüre meine Füße.
Später, nach einer Lesung und zwei Interviews, sehe ich mich in den Spiegel und kämme mich. Ich bin so müde, dass ich zu schielen beginne. Das macht aber nichts, denn zu unserer im Programm eingetragenen Signierstunde „Autorin am Stand“ erscheint eh niemand. Am liebsten würde ich mich auf einem der weißen Kuben unseres Verlagsstandes zum Schlafen zusammenrollen. Die Verlegerin fütterte mich fürsorglich mit Käsegebäck und Pinot Grigio, und da kommt auch schon jemand auf Besuch. Später, beim Österreich-Empfang im Städel, gibt es keinen einzigen Sessel. Meine Füße tun jetzt weh. Es wird nochmal eine Laudatio auf den Buchpreisträger, der abwesend ist, gehalten. Wir feiern den österreichischen Literaturbetrieb mit grüner Sauce, Püree und kleinen Schnitzeln. Prost! Es wird daran erinnert, dass man sich nicht an die Wand lehnen soll, denn die wäre keine Wand, sondern ein Kunstwerk. Ich halte mich am Riesling fest und gehe ab und zu in den Garten, um mich auf einer Parkbank auszurasten.
Mit fortschreitender Stunde rotten wir uns an den Stehtischen zusammen. Wenn ich mich aufstütze, kann ich die Füße entlasten. Wir diskutieren, wie behäbig der Buchmarkt ist. Wie schwerverkäuflich das Produkt Buch. Wie himmelschreiend subjektiv die Beurteilungskriterien. Wie viel Kaufanimation noch würdevoll ist. All die Wettbewerbe, mit Long-, Shortlists und Voting und bis hin zur dramatischen Atempause des Moderators vor der Verkündung, wer „weiterkommt“ und wer „rausfliegt“! Schrecklich! Niemand sagt, dass diese Listen eine Pest sind, so lange man nicht auf ihnen steht, aber dass sie ganz schnell zum Segen mutieren, wenn man es dann doch einmal tut. Prost! Trinken wir darauf, niemals unsere Seele zu verkaufen!
Wer die besten Beinvenen hat, geht zuletzt. Als die anderen ins Bahnhofsviertel drängen, um auf Gin Tonic umzusteigen, bin ich seit 22 Stunden durchgehend wach. Mir ist völlig wurscht, was das Taxi kostet. Ich lege den Kopf in den Nacken und will Frankfurt Frankfurt sein lassen, aber die Füße glühen und pochen, und der Fahrer muss mir jetzt gestehen, dass er bald in Rente geht und dann auch endlich ein Buch schreiben will.
Der Absatz meines Stiefels bricht erst am nächsten Tag ab, auf den letzten Metern von Frankfurts buckligem Pflaster.