Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher: Mieze Medusa bloggt im November 2014

Mieze Medusa erklärt, wieso der November sich dafür anbietet, über die Lektüre des vergangenen Jahres nachzudenken – nicht zuletzt, weil Weihnachten immer früher kommt, als man so glaubt.

Mit dem Lesen ist es so eine Sache. Immer macht dir jemand ein schlechtes Gewissen. Das ist zu süß, das macht dick im Kopf, hier machen Sie es sich zu einfach, Frau Medusa. Dabei sind die Instanzen der Schelte selbst einseitig unterwegs. Die Bücher, die man gelesen haben muss, sind von Autoren, die häufig tot sind, gerne männlich und meistens weiß. Das Prinzip dahinter nennt sich Kanon. Sich dagegen zu wehren ist, wie gegen den Strom schwimmen: Es macht absolut nicht dick, schon gar nicht im Kopf. Aber anders als beim Schwimmen gegen den Strom, kommt man dabei auch vom Fleck.

 

Folgende Bücher sind meine Empfehlung für die November-Couch:

 

Die aufregende Zadie Smith hat einen Großstadtroman geschrieben mit vielen formalen Überraschungen, "N-W" im Original, "London NW" in der Übersetzung. Weil wir gerade von Instanzen der Schelte reden: Das deutschsprachige Feuilleton hat die Bibelzitate bemerkt, nicht aber die HipHop-Referenzen. Meine Herren, machen Sie Ihre Hausaufgaben.

 

Überhaupt tut sich unser Kulturkreis schwer mit der Popkultur. Eine erfreuliche Ausnahme ist Tilman Rammstedts Hommage "Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters". Ein mit Bedeutungslosigkeit und Geldnot kämpfender Autor trifft seinen Bankberater und schreibt Mails an Bruce Willis. „Pfützen sind die Ozeane des kleinen Mannes.“ Und in denen kann man ertrinken, während man von seiner Seelenverwandtschaft mit Mr. Willis träumt.

 

Apropos Maßlosigkeit: Michael Ende bringt's in der unendlichen Geschichte auf den Punkt. Der Junge Atreju kann sich von den Erzählungen des Wolfes Gmork nicht losreißen, während das Nichts die letzten Fluchtwege zerfrisst. Wird übrigens kaum mehr gelesen, wenn ich meine Umfragen bei Schulworkshops als repräsentativ ansehen darf. Aber keine Sorge: Die Jugend liest. Nicht viel mehr und nicht viel weniger als früher. Nur halt ihre eigenen Bücher. Gerne mit Sogwirkung, Vampiren und Spannungsbögen, die die Ohren zum Leuchten bringen, wie früher die Taschenlampe unter der Bettdecke, die mein Nachtleben vor meinen Eltern versteckte.

 

Und immer noch lese ich in der Nacht. Und am Tag. Manchmal gar nicht. Ich kann im schaukelnden Bus lesen, ohne dass mir schlecht wird. Ich lese im Zug. Ich lese beim Spazierengehen und laufe gegen Laternen. Ich lese im Bett und immer noch wird es 7 in der Früh, wenn mich ein Buch so richtig durchknetet. Aber ich bin wählerischer geworden. Ich lege Bücher weg, auch wenn ich sie lesen sollte, weil es die Instanzen der Schelte verlangen. Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher. Und mit schlecht meine ich, dass mich das Buch, das morgen vielleicht mein Lieblingsbuch wird, in genau diesem Moment nicht erreicht.

 

Eine meiner heimlichen Lieben ist die Genreliteratur. Ja, mit Aliens. Ja, mit Leichen. Ja, mit Kutsche. Ja, mit Peitsche, aber nein, nicht De Sade und nicht Shades of Dings. Weil ich auch hier gerne den Kanon ignoriere. Kindisch, ich weiß.

 

Also noch ein paar Bücher, von denen ich vermute, dass ihr sie nicht kennt:

 

Markus Köhles "Hanno brennt" verarbeitet das Trauma, das die heimische Zivilgesellschaft haben müsste, wenn sie die TierschützerInnenprozesse zur Kenntnis genommen hätte. Bei allem politischen Engagement aber ein Hohelied auf das Sprachspiel und ein Bekenntnis zu Großstadt.

 

Ulrike Schmitzer tut in "Es ist die Schwerkraft, die uns umbringt" erfolgreich so, als wäre die Geschichte der Raumfahrt eine rein weibliche.

 

Dietmar Daths "Pulsarnacht". Ein Autor, der den Spagat zwischen Suhrkamp, Heyne und Verbrecher Verlag schafft, muss ein guter sein.

 

Saskia Fischer hat mich bei einer Lesung so von ihrem Roman "Ostergewitter" überzeugt, dass ich ganz entspannt eine Leseempfehlung abgebe, obwohl der Text noch auf der ToDo-List steht.

 

Denice Bourbon schreibt für die an.schläge eine Kolumne über ihr Leben. Queer-feministisch, englischsprachig und gut für Österreich, dass sie zu uns gezogen ist. Jetzt als Buch: "Cheers!"

 

Marcia Zuckermanns Wenderoman "Das vereinigte Paradies" ist 15 Jahre später immer noch unfassbar gut. Ist aber vergriffen. Ätsch.

 

Also, nicht zu lange warten, mit dem Buchkauf. Weihnachten kommt früher als ihr glaubt.

Gastblogger/in

Foto: Mieze Medusa (c) Sabine Pichler
Mieze Medusa (c) Sabine Pichler

Mieze Medusa ist Pionierin der Österreichischen Poetry-Slam-Szene. Seit über 13 Jahren ist sie auf Bühnen aktiv, seit über 10 Jahren organisiert sie Poetry Slams und schafft so Bühnen für andere Performance-PoetInnen in Wien, Graz und anderswo. Mit ihren Texten tritt sie weltweit auf, etwa in Usbekistan, Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Slowenien und natürlich in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Die letzte Sammlung von Slam-Texten heißt "Ping Pong Poetry".

Ihr aktueller Roman "Mia Messer" verfolgt die Abenteuer einer feministisch-motivierten Kunstdiebin und der Wiener Gangsterfamilie Barozzi. Gemeinsam mit tenderboy hat sie 2014 außerdem das Rap-Album "Sparverein der Träume" veröffentlicht.

www.miezemedusa.com

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