Filme erzählen Geschichten
Katharina Pree: Hat das Buch wirklich ausgedient bei Jugendlichen?
Sissi Kaiser: Das wichtigste Medium ist nach wie vor das Fernsehen, allerdings erobert das Internet immer häufiger die Kinderzimmer – auch über Tablet und Smartphone. Die liebste Aktivität im Netz ist ganz klar YouTube. Smartphones und Handys sind weiterhin auf dem Vormarsch. Zu den Verlierern werden immer wieder vor allem Bücher gezählt. Im Jahr 2016 zählen mit 38 Prozent zwei von fünf deutschen Jugendlichen zu den regelmäßigen Leserinnen und Lesern gedruckter Bücher. Das legt die These nahe, dass Bücher in der Phase des Erwachsenwerdens einen besonderen Stellenwert innehaben, dass sie auch in Zukunft nicht aus dem Mediennutzungsrepertoire der Jugendlichen verschwinden werden.
Katharina Pree: Kannst du uns ein paar Zahlen über die Handynutzung von Kinder und Jugendlichen nennen?
Sissi Kaiser: Schon fast jedes vierte Kind im Alter zwischen sechs und zehn Jahren besitzt ein eigenes Mobiltelefon, bei den Drei- bis Fünfjährigen sind es 14 Prozent . Mit 97 Prozent besitzt praktisch jede/r Zwölf- bis 19-Jährige ein eigenes Mobiltelefon. Im Hinblick auf die tägliche Nutzung steht das Handy mit 92 Prozent klar an erster Stelle bei Jugendlichen, dicht gefolgt vom Internet (unabhängig vom Verbreitungsweg) mit 87 Prozent und Musik hören (82 Prozent).
Katharina Pree: Du bist Filmemacherin und machst mit Mädchen und Buben Videoprojekte. Was motiviert dich zu dieser Art von Arbeit?
Sissi Kaiser: Es macht mir einen riesen Spaß! Kinder und Jugendliche haben spannende, manchmal ganz neue Sichtweisen und einfache Lösungsmöglichkeiten. In meiner Arbeit geht es mir um das „Fragen-Stellen-Dürfen“, Bilder und Ausschnitte einer Realität, die uns medial gezeigt werden, zu prüfen und mit den eigenen Erfahrungen abzugleichen, zu hinterfragen. Filme selber zu produzieren ist ein Garant, etwas bewusst wahrzunehmen, eröffnet neue Sichtweisen, Vertrautes einmal mit anderen Augen zu betrachten, lässt spielerisch Rollen einnehmen, trainiert die eigene Kompetenz und viele der sogenannte „Soft-Skills“, fördert soziale und kulturelle Sensibilisierung, beleuchtet neben der kognitiven auch die emotionale Seite, erhöht zielgerichtetes Arbeiten und das mit hohem Selbststeuerungsanteil und dem durch alle Altersgruppen gehende Erfolgserlebnis, etwas geschafft zu haben.
Katharina Pree: Du bist Erfinderin der sogenannten FAME-Workshops. Was kann man sich darunter vorstellen?
Sissi Kaiser: „FAME * Filmen Als Methode” fördert die Bildlesekompetenz und Nutzung der Alltagssprache Video und entlarvt Medienprodukte und Manipulationen in Film und Fernsehen, Prozesse und eingesetzte Mittel der Bedeutungsbilder werden durchschaut, genau hinschauen gefördert. Das Buch wird von allen Altersgruppen als Symbol des Wissens gesehen, Kino als kollektiver Erfahrungsraum erlebt. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, wie umfangreich die Erstellung ist und erhöht den Respekt vor der Arbeit von „Geschichtenerzählerinnen und -erzählern“.
Katharina Pree: Kann deiner Meinung nach die Nutzung neuer Medien die Lesekompetenz von Jugendlichen fördern?
Sissi Kaiser: Medien stellen heute unverzichtbare Arbeits- und Denkwerkzeuge für das Lehren und Lernen dar. Unter diesem Gesichtspunkt bedeutet kompetente Mediennutzung eine Erweiterung der Alphabetisierung und verschmilzt mit den klassischen Techniken Lesen, Schreiben und Rechnen. Schreiben und Lesen werden heute intensiv mit dem Handy praktiziert und geübt, wenn auch nicht gerade im Stil eines Schulaufsatzes oder einer schulischen Lektüre. Jedoch lassen sich viele wichtige Aspekte mit dem Handy verbinden, zum Beispiel Handy-Gedichte schreiben oder Handyromane produzieren. Wer selber entwerfen kann, kann besser nachvollziehen, wie Botschaften, Bilder und Geschichten aufgebaut sind, und Erfahrungen in die weitere Mediennutzung integrieren.
Katharina Pree: Was verbindet das Buch mit dem Film?
Sissi Kaiser: Beide erzählen eine Geschichte. Sowohl der Film als auch das Buch nutzt das Medium Sprache. Beim Lesen entstehen die Bilder in der Fantasie der Lesenden. Im Film wird das geschrieben Wort erweitert um Bildsprache, Tonsprache, Komposition. Das alles passiert nicht willkürlich, sondern wohl überlegt. Die Entscheidung, mit welchen Bildern man die Geschichte erzählt, setzt voraus, sie gelesen zu haben und gut zu kennen – man muss sich intensiv mit dem Text vertraut machen.