Mehrsprachiger Bestandsaufbau

In Zeiten wachsender Migrationsbewegungen nach Europa sind alle Öffentlichen Bibliotheken mehr denn je gefordert, entsprechend konstruktiv auf das Phänomen Zuwanderung und Vielsprachigkeit zu reagieren. Die Bibliothek Zirl gibt Tipps zum mehrsprachigen Bestandsaufbau.

AutorIn: 
Christine Federspiel-Heger


Interkulturelle Kompetenz wird eine der wichtigsten Kompetenzen der Zukunft sein – eine Zukunft, die bereits begonnen hat. Bibliotheken und BibliothekarInnen können und sollen Wesentliches dazu beitragen und müssen ihre Rolle in puncto interkultureller Kompetenz als öffentliche, frei zugängliche Einrichtung wahrnehmen und ausbauen, um ihrem Auftrag als Bildungszentrum, Kulturzentrum, sozial-integratives Zentrum und Informationszentrum (gemäß dem BVÖ Leitbild) auf zeitgemäßer Ebene gerecht zu werden.

 

Bibliothek ist immer dort, wo Menschen sind. Darum gibt es auch zwischen Bibliotheken und Flüchtlingsheimen in Österreich rege Kontakte – so auch in Zirl in Tirol. Im Rahmen der Projektarbeit für den ehrenamtlichen Ausbildungskurs des BVÖ wurde erstmals aktiv eine Einladung zur Bibliotheksbesichtigung (bei Kaffee und Kuchen) für die HeimbewohnerInnen ausgesprochen, was 2015 wiederholt und sehr positiv angenommen wurde.

 

Bedarfsanalyse und Bestandsaufbau

Zu den Eckdaten: In der Flüchtlingsunterkunft Zirl leben zurzeit (2015) ca. 100 Personen aus 20 verschiedene Nationalitäten, Kulturen und noch mehr Sprachen. Als Hauptsprachen haben sich Arabisch, Dari-Farsi (Persisch) und an dritter Stelle Russisch herausgestellt. Es zeigte sich also, dass die türkische Literatur kaum genutzt wurde und hier reduziert werden konnte. Um dem ermittelten Bedarf zu entsprechen, wurde nun der Bibliotheksbestand sukzessive aufgestockt. Literatur in Dari ist vergleichsweise schwierig zu beschaffen. Arabisch kristallisierte sich als weiter verbreitete, gemeinsame Sprach bzw. Schrift heraus, welche in allen nordafrikanischen Ländern als auch im Vorderer Orient verstanden wird. So begann die Bibliothek Zirl mit dem Aufbau von arabischer Literatur für Erwachsene (FS.UA) und Kinder (JD und JD.F)[1]. Wichtig ist hierbei auch die Einbeziehung der Flüchtlingsunterkunft in beratender Funktion. Nach Abschluss der Neuankäufe ist es natürlich sinnvoll, dass eine Liste der neuen Medien auch an die Flüchtlinge ergeht.

 

Systematisieren nach ÖSÖB

Die in Österreichs öffentlichen Bibliotheken dominierende Systematik ist die „Österreichische Systematik für Öffentliche Bibliotheken“ (ÖSÖB), die seit 2004 in einer völlig überarbeiteten Form vorliegt. 2012 ist die korrigierte 2. Aufl. der ÖSÖB in 2 Bänden erschienen: Die Systematik ist ein wichtiges Mittel für die attraktive Bestandspräsentation und die gezielte thematische Bestandserschließung. Sie trägt dazu bei, den Benutzern von Bibliotheken den Zugang zu Information, Bildung und Kultur zu erleichtern.[2]

 

Grundlegendes zu Fremdsprachen und Systematik

In der praktischen Anwendung gibt es beim Systematisieren zwei Möglichkeiten: Entweder streng nach ÖSÖB vorzugehen oder  (als kleinere Bibliotheken mit geringem Fremdsprachenbestand), die Systematik zu kürzen und einfach zu halten. Zum Beispiel: FS.E (Englisch), FS.I (Italienisch), FS.F (Französisch), FS.S (Spanisch), FS.K (Kroatisch), FS.R (Russisch), FS.T (weitere europäische Sprachen, wie: Ungarisch…), FS.U (Außereuropäische Sprachen, wie Arabisch, Türkisch…). Der Vorteil einer straffen Systematik ist: Sie ist Buchrücken-freundlich und leicht lesbar. Das ist durchaus vertretbar und wird auch in der Praxis gemacht.

 

Allerdings bei einer Erweiterung durch zusätzliche Sprachen kommt es auf dieser Basis früher oder später zu Kollisionen. Zum Beispiel: Wenn für Polnisch die Systematik FS.P verwendet wird und Portugiesisch hinzu kommt (FS.P? Dasselbe wäre bei: FS.R für Russisch, wenn z.B. Rumänisch hinzu käme), wird klar, dass bei einer Erweiterung des fremdsprachlichen Literaturangebotes eine ÖSÖB-konforme Systematisierung, nämlich die hierarchische Herangehensweise unter Berücksichtigung der übergeordneten Sprachfamilie (romanisch, slawisch, skandinavisch etc.) im F-Bereich Sinn macht und zwingend wird, mit Ausnahme der englischen Literatur:

 

  • FS.E Englische Schriften
  • FS.G Schriften in alten Sprachen der klassischen Antike[3]
  • FS.K Schriften in skandinavischen Sprachen
  • FS.R Schriften in romanischen Sprachen
  • FS.S Schriften in slawischen Sprachen
  • FS.T Schriften in weiteren europäischen Sprachen
  • FS.U Schriften in außereuropäischen Sprachen

 

Nur so lässt sich das Problem nachhaltig lösen: Polnisch ist korrekterweise FS.SP und Portugiesisch FS.RP. Folglich: Italienisch FS.RI, Französisch FS.RF, Spanisch FS.RS, im Gegensatz dazu Russisch FS.SR, Serbisch FS.SS, Kroatisch FS.SK, Arabisch  FS.UA, Persisch FS.UP. Türkisch FS.UT usw. Afrikanische Sprachen (z.B. Somali): FS.UF. Ungarisch gehört zur Gruppe: Weitere europäische Sprachen (FS.T) etc. Die skandinavischen Sprachen sind hier nicht näher behandelt. Sie spielen in österreichischen Büchereien allgemein bedarfsmäßig eine eher geringe Rolle. Es spricht dennoch nichts dagegen, diese Sprachen unter FS.K zu subsummieren und anzubieten. Gegebenenfalls wird es notwendig, noch nicht vorhandene Systematiken im Bibliotheksverwaltungssystem (Littera etc.) neu anzulegen.

 

Untergliederungsmöglichkeiten und weitere fremdsprachenrelevante Systematiken

Als benutzungsfreundliche Untergliederung nach ÖSÖB sei abschließend die Möglichkeit der Unterscheidung in „Mehrsprachige Ausgabe“ und „Lesetexte zum Spracherwerb“ angeführt. Beispiel: Englisch (FS.EZ und FS.EE). Die Zielgruppe sind hier hauptsächlich Schulen und SchülerInnen (insbesondere wenn die Bibliothek gleichzeitig Schulbibliothek ist).

 

Deutsch als Fremdsprache betrifft den Sachbuchbereich Pädagogik:

  • PK.D: Deutsch lernen (z.B. Wörterbücher u.a. die bei Flüchtlingen beliebten Bildwörterbücher)
  • PK.DF: Deutsch als Fremdsprache-Lesetexte (z.B. Sprachkurs Deutsch für Araber)
  • TD.PK: Sprachkurse als Medienkombination (z.B. Sprachkurs Englisch TD.PK.E)
  • TD.FS: Hörbuch, fremdsprachig (z.B. englisch TD.FS.E)

 

Die Bibliothek von heute und morgen muss sich der Bedeutung und Möglichkeiten als öffentliche Einrichtung bewusst sein und im Umgang mit Migration und Multikulturalität einen Auftrag sehen. Bibliotheken können und sollen in dieser globalen Entwicklung voranschreiten und ihren Blick auf die Zukunft richten – und die ist mit Sicherheit multikulturell. Auch in der kleinen Tiroler Gemeinde Zirl. [4]

 

Dieser Beitrag nimmt Bezug auf ein Projekt, das im Rahmen eines Ausbildungskurses des BVÖ zur nebenberuflichen und ehrenamtlichen Bibliothekarin realisiert und 2015 im Bundesinstitut für Erwachsenenbildung St. Wolfgang (OÖ) unter dem Titel „Interkulturelle Bibliothek Zirl“ vorgestellt wurde. Als Hauptziel wurde im Zuge des Projekts ein Erstbestand an arabischer Literatur aufgebaut und in weiterer Folge die gesamte Systematik im Bereich FS (Fremdsprachige Literatur) analysiert und überarbeitet.

 

Anmerkungen

[1] Kaufquellen der Bibliothek Zirl: Buchhandlung Tyrolia, Innsbruck, EKZ, Reutlingen/D. Anfängliche Bedenken, es könnte ohne Sprach- und Schriftkenntnisse ein Problem werden, arabisch-sprachige Literatur zu erwerben und zu erschließen, waren unbegründet, da es dafür eben die Fachverlage wie EKZ gibt, die die Auswahl erleichtern.

[3] Nicht relevant für öffentliche Büchereien, bestenfalls AHS-Schulbüchereien.

[4] Christine Federspiel-Heger: Interkulturelle Bibliothek Zirl, S. 12 (2015)

 

 

Zurück ...