Kirstin Breitenfellner bloggt: Oh Österreich, deine Bibliothekarinnen!

Kirstin Breitenfellner bloggt über ihre LESERstimmen-Reise und schenkt uns einen wunderbaren Blick auf Österreichs Bibliothekarinnen aus der Perspektive einer Autorin.

Oh Österreich, deine Bibliothekarinnen! Das würde ich gegen Ende meiner Lesereise im Rahmen des Festivals „LESERstimmen – Der Preis der jungen LeserInnen“ zwischen Hermagor und Raggal, Mürzzuschlag und Linz gerne laut ausrufen. Fast jeder kleine Ort hat sie: Die Oase, in der Bücher die Hauptrolle spielen, und eine Gärtnerin, die das zarte Pflänzchen Leselust hochzieht.

Sie lesen die Kinderbücher selbst, bevor sie sie den Kindern in liebevoll eingerichteten Kuschelecken vorlesen. Viele von ihnen arbeiten ehrenamtlich. Manchmal wechseln sich bis zu vierzehn Bibliothekarinnen „im Radl“ ab, um die Öffnungszeiten ihrer Büchereien zu gewährleisten, und bilden damit den Nährboden der Lesezukunft eines ganzen Ortes.

 

Sie sind alle Frauen – bei über zwanzig Lesungen war zumindest kein einziger Bibliothekar dabei. Sie raufen sich zusammen – untereinander und mit den Schulbibliothekarinnen, denn einer Ministerin, so wurde es mir etwa in Tirol erzählt, sei es vor einigen Jahren eingefallen, Geld für Büchereien an Schulen auszuschütten. Eine gute Sache – nur dass niemand bedacht habe, damit in dem fragilen Sozialgefüge von kleineren Orten eine unnötige Konkurrenzsituation zu schaffen. In manchen Orten gelingt dieses Zusammenraufen, in anderen sind Gräben entstanden, dann dürfen Zettel für die Lesung in der Bücherei an der Schule nicht verteilt werden. Und trotzdem kommen vierzig Kinder.

Als Autorin schlägt einem von den Bibliothekarinnen ein fürsorglicher Respekt entgegen. Sie bieten an, einen vom Zug abzuholen, sie kaufen Rosinenschnecken (vermutlich von ihrem eigenen Geld) und erzählen, mit welchen Initiativen sie das Interesse der Kinder am Leben erhalten. Das sei nicht schwer, bis zur Pubertät. Da hören die Kinder auf zu kommen, auch weil sie für ihre Referate nicht mehr die Sachbuchschätze der Bücherei, sondern Wikipedia konsultieren. Oft kämen sie dann erst mit ihren eigenen Kindern wieder – und borgten sich auch selbst wieder das erste Buch aus.

 

Zumindest im Volksschulalter ist das Leseinteresse intakt. Die Kinder können zuhören – vor allem, wenn man sie mit Fragen und Anekdoten bei der Stange hält. In der Diskussionsrunde erzählen sie frei von der Leber weg von ihren eigenen Erfahrungen. Und fragen einen Löcher in den Bauch. „Wie alt bist du? „Wie viele Bücher hast du schon geschrieben?“ „Wie lange hast du gebraucht, um das Buch zu schreiben?“ Auf die Gegenfrage „Wer von euch hat denn schon einmal selbst versucht, ein Buch zu schreiben?“ erheben sich stets zahlreiche Hände. Von Mädchen und von Buben.

Die Kinder sind bei der Sache, während man das von den Lehrerinnen nicht immer sagen kann. Manche halten während der Lesung ein Pläuschchen mit ihren Kolleginnen, Smartphonegebrauch inklusive, während das Kind, das hinter ihnen sitzt, seinen Hals reckt und die Ohren spitzt. Dabei müssten sie sich doch am besten in die Situation der anderen Zuhörenden und noch besser in die der Vortragenden einfühlen können ...

Glücklicherweise gibt es auch die wunderbaren Lehrerinnen, und sie überwiegen. Sie verstehen es, ihre eigene Begeisterung zu transportieren und lassen die Kinder spüren: Lesen ist das Selbstverständlichste der Welt. Und gleichzeitig etwas Besonderes.

 

Die Vermittlung der Liebe zu Büchern ist Frauensache. Deswegen möchte ich ein Loblied singen, auf die Bibliothekarinnen und ihr Engagement, auf die Lehrerinnen und ihr Gespür für die Kinder, auf die Mädchen und ihr unverwüstliches Interesse für Geschichten. Und last, but not least auf die Buben. Denn die schönste Erfahrung, die ich auf dieser Tour gemacht habe, war, dass – entgegen ihrem Ruf – auch die Buben zuhören können. Ein zu Schrott gefahrenes Mofa, eine Pistolengeschichte oder ein Köhler, der Holz verbrennt, um Metall schmelzen zu können – und schon sind sie gewonnen. Sie staunen und lachen. Sie leben mit. Sie lassen sich ein. Sie stellen Fragen und scheuen sich nicht, nach der Lesung zu kommen und einem zuzuraunen: „Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen.“ Und: „Ich schreibe auch gerade eine Geschichte. Über Zombies.“

Gastblogger/in

Foto mit Kirstin Breitenfellner
(c) Ingrid Götz

Kirstin Breitenfellner wurde 1966 in Wien geboren. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Russisch und schreibt Romane, Gedichte, Sachbücher und Kinderbücher. Daneben arbeitet Kirstin Breitenfellner als Yogalehrerin und Journalistin und schreibt unter anderen für den „Falter“. Online unter: www.kirstinbreitenfellner.at

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