Klaus Kastberger bloggt über Glück beim "Gesamtminister"
Februar 2015: Das sind meine letzten Tage in Wien und meine ersten Tage in Graz. Mit dem Kopf bin ich im Augenblick irgendwo dazwischen. Ab März geht es für mich am Literaturhaus und an der Uni Graz beruflich los. Aber während ich das hier schreibe, sitze ich quasi schon einmal probeweise in meiner neuen Wohnung. Die Familie kommt später nach. Draußen auf einem Baum in gleicher Höhe wie ich selbst krächzt eine Krähe. Ansonsten ist es hier unheimlich still. Einer der ruhigsten Faschingsdienstage, die ich jemals erlebt habe.
Meine Tochter, die die Volksschule im siebten Wiener Gemeindebezirk besucht, sagte mir vor ein paar Wochen, dass sie unwahrscheinliches Glück hatte. Aus mehr als zwanzig Schülerinnen und Schülern wurde sie in ihrer Klasse per Los gewählt. Ein "Gesamtminister" kommt mit einem Sack Bücher vor die Schule, und sie dürfe dann als Vertreterin der anderen zu ihm raus. Ihm ein Buch für seinen Büchersack geben und ein anderes von ihm nehmen.
Was denn ein "Gesamtminister" genau sein soll, fragen wir sie. Na einer, der besonders wichtig und irgendwie für alles verantwortlich ist. Dem Anlass entsprechend (und passend zum Fototermin, den es bei der Gelegenheit wahrscheinlich geben würde) zieht sich das Kind ihr schönstes Kleid an. Eines ihrer Bücher gibt sie in den Tauschbüchersack. Weil sie selbst so viele Bücher hat und ihr, aufgeregt wie sie ist, aus dem Sack aber keines auf Anhieb gefallen will, nimmt sie keines entgegen. Dem "Gesamtminister" ist das auch recht. Steht eben im Tauschbüchersack, mit dem er zur nächsten Schule weiterzieht, ein Buch mehr zur Verfügung.
In Wirklichkeit sei es der Bezirksvorsteher gewesen, sagt uns unsere Tochter später. Das ist lustig, sage ich. Den habe ich vor wenigen Wochen auch erstmals getroffen. Da wurde im Bezirk ein kleines Parkstück, Ecke Lindengasse/Zieglergasse, insgesamt eher eine Art betonierter Kinderspielplatz, nach Marianne Fritz benannt. Die steirische Autorin (ihr Lebensweg führte sie mir entgegen von der Steiermark nach Wien) hat gleich ums Eck gewohnt und bis zu ihrem Tod im Jahr 2007 in dieser Wohnung ihre Zeit wie in einer selbstauferlegten Kerkerhaft verbracht. Ihr Lebensgefährte hat den Raum im ursprünglichen Zustand erhalten.(1) Vom Park aus, der jetzt ihren Namen trägt, sieht man das Fenster des Arbeitszimmers. Darin eine 250-Watt-Birne, um auch in der Nacht arbeiten und faktisch unablässig schreiben zu können.
Nachdem der "Gesamtminister" bei der Eröffnung des Parks lange über die Finanzierung des auf der Parzelle befindlichen Gebäudes (es ist nicht wahrlich ein Schmuckstück) gesprochen hatte und dabei die Tatsache nicht unerwähnt ließ, dass mit dem Park hier jetzt neuer öffentlicher Raum geschaffen werden konnte, kam er in einem Satz kurz auch auf Marianne Fritz zu sprechen. Im siebten Bezirk, so sagte er, sei man immer stolz darauf, öffentliche Flächen nach Frauen zu benennen. So hat dann auch Marianne Fritz beim "Gesamtminister" unwahrscheinliches Glück gehabt.
Anmerkungen:
(1) Klaus Kastberger und Helmut Neundlinger (Hrsg.): Marianne Fritz Archiv Wien. Eine Dokumentation. Wien: Österreichische Nationalbibliothek 2012: http://www.wirlesen.org/dokument/marianne-fritz-archiv-wien