Wirtschaftsliteratur

Das nächste große Ding? In Wirtschaftsbüchern ist dies nicht mehr nur eine neue Management- oder Motivationstheorie, sondern die globale Verflechtung von Krise und Kapital, von Staatsüberschuldung und Wirkung auf den Einzelnen. Wirtschaftsliteratur wird immer politischer.

AutorIn: 
Alexander Kluy


"Nicht die Politik ist unser Schicksal, sondern die Wirtschaft." Selten hat der Ausspruch des 1922 erschossenen deutschen Außenministers Walther Rathenau, der einer Großindustriellenfamilie entstammte, für den Sektor des Wirtschaftsbuches so sehr gegolten wie in den vergangenen zehn Jahren.

 

Denn infolge regelmäßig und in immer kürzeren Abständen auftretender ökonomischer Grenzsituationen, die in den Jahrzehnten vor dem Jahr 2000 eher unbekannt gewesen sind – vom Börsen-Crash bis zum Fallieren europäischer Staaten –, hat Wirtschaftsliteratur stark an Aufmerksamkeit und an gesellschaftspolitisch motiviertem Interesse gewonnen. Angesichts eines in den Augen nicht weniger aus dem Ruder gelaufenen (Finanz-)Kapitalismus und eines beklagten Mangels an Gerechtigkeit und demokratischen Zusammenhalts wird Orientierung gewünscht.

 

"Was sich seit 2008", so der liberale Wirtschaftswissenschaftler Roland Baader, "in der Welt der Banken und Finanzen, der Staatsbudgets und der Unternehmensbilanzen abspielt, ist [...] eine Verschuldungskrise von welthistorischen Ausmaßen. Mit Ozeanen aus Papiergeld und Krediten aus heißer Luft wurde eine globale und inflationäre Konsumorgie angeheizt, die nun zusammenbricht. Schulden müssen irgendwann zurückgezahlt werden, wenn nicht freiwillig, so durch zwanghafte Umstände."(1)

 

Wandel der Schwerpunkte

Beim Anteil an den Buchverkäufen spiegelt sich jedoch die Aktualität von Wirtschaftsliteratur nicht zur Gänze wider. Im Jahr 2013 belief sich im deutschen Buchhandel der Anteil der Warengruppe Recht, Wirtschaft, Sozialwissenschaften auf 2,6 Prozent. Verglichen mit dem Vorjahr und einem damals ermittelten Anteil von 2,5 Prozent ist die Zunahme eher marginal.(2) 

 

In den 1990er-Jahren waren noch mehrheitlich Ökonomiebücher über einerseits Wirtschaftsgeschichte und -philosophie und andererseits über Personalführung und auf unterschiedlichen Verhaltensnormen beruhende Management- und Motivationskonzepte gefragt, die wie das japanische Kaizen einen innerbetrieblichen Wandel herbeiführen und Veränderungen zum Besseren bewirken sollten. Seit der globalen Hypotheken-, Banken- und Finanzkrise des Jahres 2008 sind vor allem Publikationen vorgelegt worden, die sich mit deren Konsequenzen beschäftigen. Sie handeln also von Überschuldung, Staatsinsolvenz, Sparmodellen und Massenarbeitslosigkeit. In ihnen wird versucht, die Zusammenhänge von Ökonomie, wirtschaftlicher Verflechtung (Globalisierung) und nationalen Schieflagen und Armut zu erläutern.

 

Wirtschaft für die Menschen?

Insbesondere zwei Bände sind in den vergangenen Jahren stark wahrgenommen und diskutiert worden: David Graebers "Schulden. Die ersten 5000 Jahre" (Klett-Cotta Verlag, 2012 erschienen, lag es Ende jenes Jahres bereits in der 8. Auflage vor) sowie "Das Kapital im 21. Jahrhundert" des 1971 geborenen Franzosen Thomas Piketty, der an der École d’Économie in Paris lehrt.

 

Pikettys umfangreiche Veröffentlichung ist bereits vor dem Erscheinen der deutschen Übersetzung (C. H. Beck Verlag) Mitte Oktober 2014 in allen deutschsprachigen Medien sehr ausführlich vorgestellt und analysiert worden und diente als Spiegel aktueller politischer Debatten über Finanzpolitik zwischen Staatsinterventionen und Sparprogrammen innerhalb Europas.

 

Der amerikanische Anthropologe Graeber, der bis 2007 an der Yale University in New Haven/USA unterrichtete und seither Professor an der London School of Economics ist, gilt als einer der Vordenker der so genannten Occupy-Bewegung. In seiner Darstellung skizziert er das Entstehen einer Schuldengesellschaft, deren endgültigen Einzug via Finanzkapitalisten er im 19. Jahrhundert erkennt. Deren strikt auf Gewinn ausgerichtetes Geschäftsgebaren habe 150 Jahre später zu durchökonomisierten Leistungs- und Konkurrenzgesellschaften geführt, die auf Gewalt, Ausbeutung und Vereinzelung beruhen. Diesem Buch ist auch ein eigener Eintrag bei wikipedia gewidmet.(3)

 

2013 gewann den von der Frankfurter Buchmesse, der Bank Goldman Sachs und der deutschen Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" ins Leben gerufenen Deutschen Wirtschaftsbuchpreis der Bonner Jusprofessor Daniel Zimmer, zugleich Vorsteher der Monopolkommission, für "Weniger Politik!", in dem er gegen die Regulierung durch Europäische Union und deren Einzelstaaten plädierte. Bei den im Jahr 2014 nominierten Titeln geht es nun jedoch um Anderes und Vielfältigeres: um staatliche Innovation (Mariana Mazzucato: "Das Kapital des Staates") und Geld (Felix Martin: "Geld, die wahre Geschichte. Über den blinden Fleck des Kapitalismus"), um die Wall Street (Michael Lewis: "Flash Boys. Revolte an der Wall Street") und das Silicon Valley (Christoph Keese: "Silicon Valley. Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt"), um Glück (Kerstin Bund: "Glück schlägt Geld. Generation Y: Was wir wirklich wollen") und Angst (Heinz Bude: "Gesellschaft der Angst").(4)

 

Eine andere Welt

Sich auf das Segment "Wirtschaft" bzw. "Wirtschaft und Gesellschaft" spezialisierende Verlagshäuser wie Campus und Springer Gabler, ecowin (Salzburg), C. H. Beck, edition nautilus, Mandelbaum (Wien), Redline und FinanzBuch – diese beiden wurden vor einigen Jahren unter der Dachmarke Münchner Verlagsgruppe zusammengeführt – sowie Hanser Fachbuch und Econ decken inhaltlich wie ideologisch das gesamte Spektrum der Wirtschaftswissenschaften und der Politischen Ökonomie ab.

 

Der Bogen setzt bei eher orthodoxen konservativen Lehrmeinungen ein, die für Wirtschaftsliberalismus eintreten, die Freiheit des Einzelnen betonen und sich in jüngster Zeit auf das fragile Finanzkonstrukt namens Europäische Union konzentrieren und deren Zukunft anzweifeln, so zum Beispiel Hans-Werner Sinn mit "Im Euro gefangen" (2014) und "Die Target-Falle. Gefahren für unser Geld und unsere Kinder" (2012) oder "Die Plünderung der Welt. Wie die Finanz-Eliten unsere Enteignung planen" (2014) des österreichischen Publizisten Michael Maier, vormals Chefredakteur von "Die Presse", "Berliner Zeitung" und "Stern".

 

Gegensätzliche Position dazu stellen globalisierungskritische Ideen dar, die gesellschaftliche Alternativen aufzeigen und zu einer laut ihrer Anhänger humaneren Wirtschaft und einer besseren und harmonischeren Gesellschaft führen sollen.

 

Anregungen für letztere finden sich beispielsweise in der von Martin Birkner im Wiener Mandelbaum Verlag herausgegebenen Reihe "kritik und utopie". Darin werden feministische Ökonomie und Ausbeutung in chinesischen Fabriken ebenso abgehandelt wie das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens, Sexismus in der Arbeitswelt oder die Frage nach bezahlbarem Wohnraum in den Städten.(5)

 

Anmerkungen:

(1) Zit. nach: Michael Maier: Die Plünderung der Welt. Wie die Finanz-Eliten unsere Enteignung planen, München 2014, S. 12

(2) http://www.boersenblatt.net/373296/template/bb_tpl_branchenzahlen/

(3) http://de.wikipedia.org/wiki/Schulden:_Die_ersten_5000_Jahre

(4) http://www.handelsblatt.com/panorama/kultur-literatur/wirtschaftsbuchpreis/

(5) http://www.mandelbaum.de/books/806/page/1/

 

 

Zurück ...