Österreichische Gegenwartsliteratur
Nach 1945 dominierte nahezu eine Generation lang das Element tief reichenden Zweifels an Kultur, Welt und Humanismus die österreichische Literatur. In Sprache und Stil drückte sich dies einerseits als Sprachzweifel und als Sprachkritik aus. Andererseits als beschwörende Beschreibung von Hässlichkeit und als Auslotung mutmaßlich nicht-demokratischer, von körperfeindlicher Religion und Fremdenfeindlichkeit imprägnierter provinzieller Enge. Das galt für Hans Lebert wie für Thomas Bernhard, für Ernst Jandl, Franz Innerhofer, Josef Winkler und Gernot Wolfgruber oder für den früh verstorbenen Werner Schwab. (1)
Eine Würdigung dieser besonderen literarischen Strömung stellte nicht zuletzt 2004 die Auszeichnung Elfriede Jelineks mit dem Literaturnobelpreis dar.
Das Ende des Barocks
Einen ergänzenden Kontrast dazu stellte eine als barock zu bezeichnende Traditionslinie dar, die in den 1950er- und 1960er-Jahren in den monumentalen Romanen Heimito von Doderers und Albert Paris Güterslohs ihren Höhe- und Endpunkt fand. Der Kulturdiplomat Peter Marginter („Der Baron und die Fische“, 1966), der Vorarlberger Max Riccabona („Bauelemente zur Tragikomödie des x-fachen Dr. von Halbgreyffer oder Protokolle einer progressivsten Halbbildungsinfektion“, 1980), der Romancier und Theaterdichter Gert Jonke sowie der Lyriker und Übersetzer Hans Carl Artmann mit einem weitgefächerten Werk führten dieses Erbe auf jeweils ganz eigenständige, vertrackt-artistische Art und Weise fort.
Erzählen und Erfolge
Abgelöst wurde dies durch die Generation von zwischen 1960 und 1990 geborenen Autorinnen und Autoren, die dezidiert erzählen wollen: jenseits von Heimatbeschimpfung, Misanthropie und Sprachexperiment.(2) Sie tun dies, angeregt durch das Studium und die Lektüre internationaler Literatur, ambitioniert und der greifbaren Wirklichkeit zugewandt.
Selbst wenn sich die akademische Literaturwissenschaft über den allerersten Schritt in Richtung einer österreichischen Literaturgeschichte den Kopf zerbrechen mag – gibt es überhaupt so etwas Spezifisches wie österreichische Literatur, was macht sie besonders, und wie ist sie gegenüber der deutschen abzugrenzen und überhaupt territorial einzugrenzen (3) –, so ist österreichische Gegenwartsliteratur innerhalb der deutschsprachigen mittlerweile entscheidend positiv abgehoben von west- und ostdeutschem Literaturschaffen.
Das Fundament hierfür legten die vom Suhrkamp Verlag – früher Frankfurt am Main, seit 2010 Berlin – betreuten Autoren Thomas Bernhard und Peter Handke. Letzterer arbeitet ebenso hartnäckig und von äußeren Moden unbeirrbar wie der Kärntner Josef Winkler und die 1924 geborene Friederike Mayröcker an einem herausragenden, einzigartigen, intensiv eine Handvoll Motive umkreisenden vielbändigen Gesamtwerk. So wie dies auch der 2006 verstorbene Salzburger Gerhard Amanshauser oder Werner Kofler (1947-2011) aus Villach taten.
Ihnen folgten nicht wenige AutorInnen nach, die im deutschsprachigen Raum inzwischen zu den medial wie kommerziell erfolgreichen, weithin bekannten und mit vielen renommierten Preisen Ausgezeichneten gehören: von Daniel Kehlmann über Wolf Haas, Paulus Hochgatterer und Christoph Ransmayr bis zum Hohenemser Michael Köhlmeier, dem in Leipzig lehrenden Josef Haslinger, Kurt Palm oder Ernst Hackl.
In Hackls zeithistorischen, teils dokumentarischen Romanen finden sich ebenso wie in den Arbeiten von Marlene Streeruwitz und Robert Menasse, Gustav Ernst, Margit Schreiner, Ludwig Laher und Martin Pollack, der auch als angesehener Übersetzer und Vermittler mittelosteuropäischer Literatur tätig ist, dezidierte politische Haltungen und Stellungnahmen zur Welt.
Verlage
Deutsche Verlage halten inzwischen gezielt Ausschau nach aufstrebenden jüngeren Autorinnen und Autoren. Michael Stavarič und Clemens J. Setz, Milena Michiko Flasar und Cornelia Travnicek, Barbara Aschenwald und Clemens Berger, Melitta Breznik, Barbara Frischmuth, Michael Donhauser, Raoul Schrott und Arno Geiger, Thomas Glavinic und Doris Knecht, Thomas Raab und Heinrich Steinfest, Eva Menasse, Julya Rabinowich, Teresa Präauer und Kathrin Röggla, Karl-Markus Gauß, Norbert Gstrein und Maja Haderlap, Robert Schindel und Gerhard Roth, Franz Schuh, Vladimir Vertlib und Walter Kappacher stehen bei bedeutenden deutschen Verlagshäusern oder bei zu deutschen Konzernen gehörenden, in Österreich situierten Imprints (Zsolnay, Deuticke) unter Vertrag. Die 1988 geborene Vea Kaiser aus St. Pölten debütierte 2012 überaus erfolgreich mit ihrem Roman „Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam“ im Kölner Kiepenheuer & Witsch Verlag, der verlegerischen Heimat von Heinrich Böll, Joseph Roth, E. L. Doctorow und Saul Bellow. Andere wie Janko Ferk, Ulrike Schmitzer oder Antonio Fian, Alois Brandstetter, Thomas Stangl und Christoph W. Bauer halten den österreichischen Verlagshäusern (Droschl, Haymon, Edition Atelier), die sie entdeckt und gefördert haben, die Treue.
Feste und Förderung
Das Literaturland Österreich zeichnet eine Vielzahl von Literaturfestivals aus, vom Burgenland („Literatur in Grün“ auf Schloss Deutschkreutz) über die Wachau („Europäische Literaturtage“ in Spitz an der Donau) bis Tirol („Sprachsalz“ in Hall), die Auftritte auch für Literatinnen und Literaten abseits des Mainstreams bieten, etwa für Poetry Slammer wie Markus Köhle und Mieze Medusa.
Zum anderen gibt es einen verglichen mit Deutschland qualitativ überdurchschnittlich starken Nachwuchs, der mittlerweile medial auch in den Nachbarländern für Aufsehen und breite Berichterstattung sorgt. In jüngster Zeit erlebten dies etwa Anna Weidenholzer, geboren 1984, deren Zweitling „Der Winter tut den Fischen gut“ (2012) für den angesehenen Preis der Leipziger Buchmesse 2013 nominiert war, die 1987 geborene Cornelia Travnicek mit „Chucks“ (3. Auflage 2012) und Valerie Fritsch („Die Welt ist meine Innerei“, 2012), Jahrgang 1989. Die Förderung ganz junger Autorinnen und Autoren verdankt sich maßgeblich der staatlicherseits nachhaltig gepflegten, reichhaltigen, dabei zumeist kleinteiligen Verlagsszene zwischen Oberwart, Wels und Hohenems, die ihr Augenmerk auf aufstrebende Talente richtet.
Anmerkungen
(2) Andreas Breitenstein: Die Erzählbarkeit der Ehe, in: Neue Zürcher Zeitung, 9. Februar 2010.