Jugendliteratur im Höhenflug

Noch nie zuvor war das Angebot für jugendliche Leserinnen und Leser so umfangreich und vielfältig wie heute: Immer mehr Verlage publizieren Bücher für diese Zielgruppe in einer großen Formen- und Gattungsvielfalt.

AutorIn: 
Franz Lettner


Jugendliteratur boomt. Auf der Jahresbestsellerliste 2013 des „Spiegel“ (1) in der Kategorie Hardcover (also nicht Jugendbuch!) standen mit Kerstin Giers „Silber. Das erste Buch der Träume“ (FJB), Suzanne Collins „Die Tribute von Panem. Flammender Zorn“ (Oetinger) und John Greens „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ (Hanser) drei Jugendbücher auf den Plätzen 7 bis 9. Schon 2012 war es nicht viel anders: Die gesamte Panem-Trilogie war auf den Plätzen 1, 3 und 5 gereiht und auch John Green befand sich unter den 10 meistverkauften Büchern; was sich 2014 möglicherweise nicht ändern wird, schließlich kommt im Sommer die Verfilmung von „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ in die Kinos, und im Herbst folgt Panem 3, Teil 1.

 

Jugendliteratur ist aus seiner Marktnische raus. Publikumsverlage nehmen vermehrt Jugendliteratur ins Programm, als Einzeltitel (etwa Rowohlt mit Herrndorfs „Tschick“ oder Kunstmann mit Fagans „Das Mädchen mit dem Haifischherzen“) oder mit einer Imprint-Schiene (wie „Heyne fliegt“ oder „One“, das neue All-Age-Imprint von Lübbe). Auch Bestsellerautoren schreibenJugendbücher – wie John Grisham mit der „Theodore Boone“-Serie oder David Safier mit „28 Tage lang“, im Frühjahr 2014 textgleich mit leicht unterschiedlichem Cover bei Kindler in der allgemeinen Belletristik und bei Rowohlt für Jugendliche erschienen.

 

Erwachsene lesen Jugendliteratur

Dass das nicht daran liegen kann, dass Jugendliche in den 2010er Jahren so viel mehr lesen als früher, ist den Mediennutzungsuntersuchungen abzulesen. Nein, es müssen schon auch Erwachsene sein, die Jugendliteratur lesen. Im deutschsprachigen Raum wird – zumindest zu Marketingzwecken – der Begriff „All Age“ für Texte verwendet, die auch von Erwachsenen gelesen werden. (Klaus Stimeder hat im Jänner 2014 in der Wiener Zeitung (2) geschrieben, dass in den USA 80 Prozent jener Literatur, die unter dem Label Young Adult Fiction läuft, von Erwachsenen gelesen wird.)

 

Breites Spektrum

Jugendliteratur wird in Teilen nicht nur von Erwachsenen auch gelesen, sie hat sich zudem der Erwachsenenbelletristik angenähert, in der Ausdifferenzierung und in der formalen Ausgestaltung. Natürlich gibt es immer noch die themenzentrierte Jugendliteratur („problemorientierte“ hat man sie früher genannt), die sich jener gesellschaftspolitischen Bereiche annimmt, die gerade (in den Medien) virulent sind. Auf jedes Schulmassaker folgen entsprechende jugendliterarische Titel, Magersucht taucht immer wieder auf, etwa jüngst Lara Schützsacks „Und auch so bitterkalt“, Fischer KJB 2014). Und natürlich gibt es den Adoleszenzroman, der sich mit dieser Lebensphase auf eine komplexe und ästhetisch anspruchsvolle Art auseinandersetzt, wie das etwa Nils Mohl mit seiner „Stadtrandtrilogie“ („Es war einmal Indianerland“ 2011, bzw. „Stadtrandritter“ 2014, beide Rowohlt) tut. (3)

 

Fantasy, Romantasy und Chick Lit

Daneben aber werden auch althergebrachte Genres um- und ausgebaut. Was früher das Mädchenbuch war (und noch viel früher der „Backfischroman“), gibt es heute in dieser Form immer noch (etwa Gaby Hauptmanns Pferde-Mädchen-Liebe-Klischee-Roman: „Frei wie der Wind“, Planet Girl 2014). Dominiert wird diese Sparte aber von der „Romantasy“ mit oder ohne Biss, der mit Sehnsucht nach Liebe angereicherten Variante der Fantasy, die ihre Dominanz damit in die 2010er Jahre hinein prolongieren konnte. Und von der „Chick Lit“ mit oder ohne Schokolade zum Frühstück, also einer unterhaltsamen Literatur über und für Mädchen und junge Frauen, deren Probleme vorwiegend die Kleider- und Männerwahl betreffen.

 

Future Fiction

Auch die „Future Fiction“, zu denen die Dystopien zählen, hat seit einigen Jahren Hochkonjunktur. Oft ist es ein außerordentlich erfolgreicher Text – wie die „Panem-Trilogie“ von Suzanne Collins –, der eine ganze Welle nach sich zieht. Schließlich wollen alle Verlage an einer Konjunktur mitverdienen.

 

Spannung

Dass jene Literatur, die unter dem Label „Spannung“ zusammengefasst wird, in der allgemeinen Belletristik seit Jahren einen erheblichen Marktanteil hat (zwischen einem Viertel und einem Drittel), wird sofort anschaulich, wenn man eine Buchhandlung betritt. In den letzten Jahren wird der Trend zu diesem Segment auch in der Jugendliteratur wahrnehmbar, das Segment Krimis und Thriller mit jugendlichen Protagonisten scheint deutlich anzuwachsen.

 

Graphic Novel

Vergleichsweise neu im jugendliterarischen Bereich ist die Graphic Novel. Natürlich gab es den Comic in Album-Form immer schon, und oft waren auch Jugendliche seine HeldInnen. Aus seiner Nische allerdings tritt er erst zunehmend in den letzten Jahren. Und wird mittlerweile nicht nur vom Feuilleton, sondern nun auch von KritikerInnen und VermittlerInnen aus der jugendliterarischen Szene wahrgenommen. Seit einigen Jahren sind auf den Nominierungslisten zum Deutschen Jugendliteraturpreis, der wichtigsten Auszeichnung der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur, immer auch Graphic Novels zu finden: 2013 nominierte die Kritikerjury Reinhard Kleists „Der Boxer. Die wahre Geschichte des Hertzko Haft“ (Carlsen) in der Sparte Sachbuch, 2014 findet sich „Wie ein leeres Blatt“ von Boulet und Pénélope Bagieu (ebenfalls Carlsen) auf der Nominierungsliste der Jugendjury.

 

Von allem etwas, und von allem das Beste

Jugendliteratur hat sich – so also der gegenwärtig Befund – gut entwickelt und seinen festen Platz auf dem Markt gefunden. Das hat – für alle LeserInnen und VermittlerInnen, vor allem auch für BibliothekarInnen – zur Folge, dass aus der großen Menge an Novitäten eine gute Auswahl getroffen werden muss: von allem etwas, auf jeden Fall, aber im besten Fall aus allen Genres und Gattungen das Beste.

 

Anmerkungen:

(1) Spiegel Jahresbestseller Hardcover 2013: http://www.buchreport.de/bestseller/jahresbestseller/hardcover.htm
(2) Klaus Stimeder: Und Erwachsene ebenso. In: Wiener Zeitung, 3. Jänner 2014.
(3) Website von Nils Mohl: http://www.nilsmohl.de

 

 

Zurück ...