Sprechen lernen
„Der Motor für Sprachentwicklung liegt nicht in einer abstrakten Begeisterung für Sprachen, sondern in der erlebten Effektivität dieses Werkzeugs für die Bedürfnisregulation und das Denken.“ (1)
Kinder bringen neben den biologischen Voraussetzungen zum Spracherwerb eine enorme Bereitschaft mit, zu anderen in Beziehung zu treten, sich mit ihnen auszutauschen und Sprache(n) zu erlernen. Zwar sind Eltern die ersten „Gesprächs“-PartnerInnen ihrer Kinder, doch die Vielfalt sprachlicher Anregungen zur Sprechaktivierung gewinnt immer stärker auch im öffentlichen Raum wie in Büchereien an Bedeutung.
Die Entwicklung der Sprachfähigkeit
Nicht alle Details des Spracherwerbs sind bereits erforscht. NeurobiologInnen, GenetikerInnen, EntwicklungspsychologInnen und SprachwissenschaftlerInnen gehen dabei einer zentralen Frage nach: Ist die Sprachfähigkeit angeboren, sozusagen den Kindern in die Wiege gelegt, oder durch den Kontakt mit der Umwelt erlernt? Eltern staunen, wenn ihre Kinder, die sich bisher mit Sprachfragmenten wie „du bringen“, „Anna will“ etc. ausdrückten, auf einmal jedes Wort an seinem richtigen Platz positionieren und grammatikalisch korrekte Sätze „produzieren“. Im Kontext der Wahrnehmungskanäle – Hören, Sehen, Fühlen, Tasten, Riechen und Schmecken – spielt besonders das Hörvermögen eine wichtige Rolle. Bereits Föten (ab der 27. Schwangerschaftswoche) hören die Stimme der Mutter und nehmen sie als Sprachmelodie (Prosodie) wahr. Ungeborene ziehen Sprachlaute anderen Geräuschen vor und reagieren unmittelbar nach ihrer Geburt, das beweisen die Experimente mit einem Sensor-Schnuller, unterschiedlich auf bestimmte Sprachen: Je höher die Saugrate, desto stärker das Interesse des Kindes. Jede Anregung, die das Baby erhält, lässt neue neuronale Verbindungen in seinem Gehirn entstehen. Die kindlichen Artikulationslaute, die häufig als „Babysprache“ belächelt werden, sind das frühe Ausprobieren des eigenen Sprechapparats. Die ersten 50 Wörter lernen Kinder zwischen 12 und 18 Monaten, wobei viele davon in der Kommunikation den Stellenwert von Sätzen haben. „Arm“ bedeutet dann zum Beispiel, dass die SprecherInnen auf den Arm genommen werden wollen. Auch benennen Kinder in diesem Entwicklungsfenster bereits Personen oder Dinge, die im Augenblick nicht sichtbar sind. Sie reden beispielsweise von „Papa“, obwohl er nicht im Raum ist.
Jedes Wort bedeutet etwas
Kinder bemerken in dieser Entwicklungsphase, dass die von ihnen geäußerten Worte eine Bedeutung haben und Reaktionen auslösen. Feedback auf diese Äußerungen zu geben, motiviert zur Weiterentwicklung und stärkt die Sprach- bzw. Sprechsicherheit. Die sogenannten Drei-Wort-Sätze wie „Mama Buch holen!“ zeigen, dass die Minimalgrammatik bereits beherrscht und geübt wird. Gut zu wissen: Kinder verstehen immer viel mehr als sie selbst ausdrücken und artikulieren können. Im ersten Lebensjahr beginnen Kinder zu krabbeln und trainieren damit das Zusammenspiel der linken und rechten Gehirnhälfte, eine wichtige Voraussetzung für das spätere Lesen.
Spracherwerb und Öffentliche Bibliotheken
Wer in Öffentlichen Bibliotheken mit Krabbelkindern arbeitet, stimmt die eigene Redeweise auf die Zielgruppe ab, dabei spricht man von „child-directed speech“, das heißt „an das Kind gerichtete Sprache“ (KGS). Deren Merkmale sind umso ausgeprägter, je jünger die Angesprochenen sind. Dabei werden Wörter bevorzugt, die Konkretes bezeichnen. „Schau, ein Ball!“ ist eine häufige Formulierung, gleich ob auf einen realen Ball oder einen im Pappbilderbuch abgebildeten Ball gezeigt wird. Die Tonhöhe schlägt umso mehr nach oben aus, je jünger das Kind ist: Zu Recht, denn je höher der Ton, desto aufmerksamer das Kind. Bibliotheken, die Pappbilderbücher anbieten und diese in speziellen Veranstaltungen für Eltern mit Krabbelkindern vermitteln, unterstützen den Dialog zwischen Kind und Umwelt. Die Sprachentwicklung der Kinder zu fördern und ihre Kommunikationsfähigkeit durch Vorlesen, gezieltes Fragen und Wiederholen der Antworten zu unterstützen, Handlungen der Kinder mit Worten zu begleiten und zu kommentieren, sind zentrale Anliegen der Sprachförderung.
„Sobald ein Baby auf dem Schoß einer Bezugsperson sitzen kann, lernt es, den Akt des Lesens mit dem Gefühl, geliebt zu werden, zu assoziieren.“ (2)
Anmerkungen:
Weiterführende Literatur
- Friederike Plaga: Bilderreich & wortgewandt. Kindliches Bildverstehen und Frühpädagogik. kopaed Verlag 2012.