Lesekompetenz – eine Frage der Politik?
Die schlechten Ergebnisse der PISA-Studie 2012 fordern die österreichische Politik zum Handeln auf: 20 Prozent der 15- bis 16-Jährigen gehören demnach zur Gruppe der RisikoschülerInnen und können gegen Ende der Pflichtschulzeit nur unzureichend sinnerfassend lesen. Und auch beim digitalen Lesen schneiden die SchülerInnen in Österreich unterdurchschnittlich ab.
Mangelnde Lesekompetenz beeinträchtigt die Jugendlichen nicht nur in ihrem privaten und gesellschaftlichen Leben, sondern erschwert auch ihren Eintritt in die Arbeitswelt. Dass dies wiederum der Politik Sorgen macht, verwundert kaum. In einer globalisierten Welt verschärft sich der Wettbewerb, und ein hinterer Platz im internationalen Bildungsranking ist kein gutes Zeichen für eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft.
Dass nun auch den Erwachsenen in Sachen Lesekompetenz kein gutes Zeugnis ausgestellt wird, verschärft die Situation einmal mehr. Erstmals hat die Statistik Austria anlässlich der in 24 Ländern durchgeführten PIAAC-Studie Daten über Schlüsselkompetenzen bei österreichischen Erwachsenen erhoben. Demnach liegt die Lesekompetenz in Österreich – wie bereits bei PISA – unter dem OECD-Durchschnitt. 8,4% der ÖsterreicherInnen erreichen die höchsten Stufen der Lesekompetenz – ihr Anteil liegt signifikant unter dem Durchschnitt aller teilnehmenden OECD-Länder (11,8%). 17,1%, also fast eine Million Menschen, verfügen über nur niedrige Lesekompetenz und sind dadurch mit möglichen Benachteiligungen im Beruf und Alltag konfrontiert.
Demokratiepolitische Auswirkungen
Gravierend können sich die mangelhaften Lese- und Schreibfähigkeiten vieler österreichischer BürgerInnen auch auf ihre Einbindung in politische Entscheidungsprozesse auswirken. Wer nicht gerne und gut liest oder aufgrund von Bildungsnachteilen Schwierigkeiten hat, sich mit vielschichtigen Themen kritisch auseinanderzusetzen, wird sich möglicherweise auch bei Wahlen oder Abstimmungen kein differenziertes Bild über den jeweiligen Sachverhalt machen können: Wenn die Berichterstattung über komplexe politische Entscheidungen in immer mehr Medien auf den kleinsten gemeinsamen Nenner heruntergebrochen wird, damit die Verständlichkeit gewahrt bleibt, geht dies in der Regel auf Kosten der Objektivität.
Es sollte also durchaus im Sinne der Politik sein, die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger ihres Landes zu fördern. Hierzu gehört ohne Zweifel eine ausreichende Lese- und Schreibfähigkeit. Denn nur wer sich umfassend informieren kann, kann an politischen Meinungsbildungsprozessen teilnehmen.
Bildungssystem verbessern
Auch hier ist die Politik gefordert. Zwar weiß man längst, dass Lesekompetenz zu einem erheblichen Teil durch das Familienumfeld bestimmt wird: Je höher Sozialstatus und Bildungsniveau der Eltern sind, desto bessere Leistungen erbringen Kinder und Jugendliche. Während aber die Bildungssysteme vieler Länder Defizite hinsichtlich Sprach- und Lesefähigkeit kompensieren, gibt es in Österreich noch großen Nachholbedarf.
Immerhin haben sich die Lesekompetenzen der Jugendlichen laut der PISA-Studie 2012 gegenüber jener aus dem Jahr 2009 etwas verbessert. Inwieweit dies allerdings auf die bereits eingeführten Bildungsreformen zurückzuführen ist, bleibt noch zu überprüfen.